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Warum Oleksandr Gluchow vor Gericht zog

Gierige Bauunternehmer haben dem kulturellen Erbe der Ukraine den Krieg erklärt - ein Beispiel aus Kiew

  • Jens Malling
  • Lesedauer: 7 Min.
Er harrte als einziger Bewohner in einem alten Kiewer Wohnhaus aus. Obwohl es unter Denkmalschutz steht, sollte es abgerissen werden. Oleksandr Gluchow wehrt sich dagegen - mit ersten Erfolgen.

Zahlreiche Gebäude von großem historischem Wert verschwinden überall in der ehemaligen Sowjetunion. Korruption und Gewinnstreben treiben die Zerstörung voran. Diese Tendenz ist in der ukrainischen Hauptstadt Kiew besonders schmerzlich zu erleben. Doch Oleksandr Gluchow errang kürzlich einen schier unglaublichen Sieg über eine Investmentgesellschaft, die sein Haus - erbaut 1909 - abreißen wollte.

Es kann einem Bürger, der sich mit den mächtigen und einflussreichen Geldmännern des Landes anlegt, teuer zu stehen kommen. Das hat auch der Mathematikprofessor Oleksandr Gluchow erfahren müssen. Aber er gab nicht klein bei, hielt aus, ließ sich nicht aus dem eleganten Haus mit dem Charme der Zarenzeit vertreiben. Alle anderen Mieter hat die Investmentgesellschaft Pantheon bereits vergrault. Gluchow beharrt auf sein Recht auf Wohnung, zumal er in dieser schon seit 1992 lebt.

Das Haus steht außerdem unter Denkmalschutz. Doch selbst vor dem Gesetz schrecken die Bautycoons und ihre Handlanger nicht zurück. Seit dem Zerfall der Sowjetunion haben sie bereits riesige Summen kassiert - durch die Zerstörung des historischen Kerns von Kiews. Und sie schrecken vor weiterem Frevel nicht zurück. Pantheon Investments wird von der Gier nach immer mehr Profit getrieben. 2008 ergaunerte sich das Unternehmen von der städtischen Regierung mit einem gesetzlich äußerst fragwürdigen Manöver das Grundstück, auf dem das fünfstöckige Haus von Gluchow steht. Pantheon Investments will das Gebäude abzureißen, um an seiner Stelle eine Bank, ein Hotel oder ein Business-Center zu errichten. Die Lage des Grundstücks ist sehr attraktiv.

«Die Ukraine ist ein durch und durch korruptes Land», sagt Oleksandr Gluchow mit Bitternis in der Stimme, während er uns vor seiner Haustür begrüßt. An diese hat er zwei DIN A4-Blätter geklebt, seinen Protest deutlich plakatierend. Passanten sollen wissen, dass hier wieder ein Haus, das unter Denkmalschutz steht, verschwinden soll - in einem illegalen Akt.

Gluchow erzählt: «Die neuen Besitzer des Grundstücks haben mir ganz unverblümt mitgeteilt: ›Wir wissen, dass wir Sie gesetzlich nicht zwingen können, auszuziehen. Aber wir werden es Ihnen so unangenehm wie möglich machen, damit Sie und Ihre Familie bald freiwillig die Flucht ergreifen.‹» Was für Druckmittel haben denn die Immobilienhaie? «Sie bedienen sich aller erdenklicher Methoden, um uns zu vertreiben. Sie stellen den Strom und das Wasser ab. Sie heuern bewaffnete Männer an, die im Treppenhaus patrouillierten und uns schikanieren. Wir mussten im letzten Winter schon ohne Heizung auskommen. Und die Nächte werden wieder kühler. »

Zweifellos, das Haus zierte die Mala-Sjitomirska-Straße im historischen Kiew, unweit der Sophia-Kathedrale und dem Unabhängigkeitsplatz. Gluchow zeigt auf die reichen, jedoch stark beschädigten Dekorationen an der Fassade; noch sind Adler und Blumen erkennbar. Das Haus ist in einem katastrophalen Zustand. Mehrere Fenster sind eingeschlagen, Ziegel ausgebrochen, Pflanzen sprießen aus allen Ritzen und Fugen.

Mit Gluchow betreten wir den Hinterhof. Zwischen Müll und Schutt ist eine Marmortafel abgestellt. Sie hing früher an der Vorderseite des Hauses und erinnerte daran, dass hier dereinst der impressionistische Maler Oleksandr Murasjko wohnte und auch sein Atelier hatte. Gluchows Empörung steigert sich. Selbst diese Tatsache schert den Stadtrat nicht. Kiews berühmte Söhne und Töchter scheinen ihm egal zu sein. Unser Gesprächspartner weist auf nackte Stellen, an denen früher Balkone prangten. Sie seien schon zu Sowjetzeiten abgerissen worden. «Die neuen Eliten in der Ukraine sind jedoch noch brutaler und rücksichtloser in ihrem Zerstörungswerk als die Bürokraten früher», klagt Gluchow. «Sie haben noch weniger Respekt für das alte Kiew als ihre Vorgänger.»

Seitdem in den frühen 1990er Jahren die Marktwirtschaft in die ehemaligen Sowjetrepubliken Einzug hielt, erklärten Bauherren und Investoren historischen Gebäuden wie überhaupt jeglichem kulturellen Erbe buchstäblich den Krieg. Einzigartige Architektur - ob im Jugendstil, Konstruktivismus oder sowjetischen Monumentalismus - fiel und fällt Bulldozern zum Opfer und ist damit unwiederbringlich für künftige Generationen verloren. Abreißen sei billiger als sanieren, wird behauptet. Fakt ist: Mit Restauration und Renovierung ist weniger Profit zu machen. Doch wer will ernsthaft in einer Stadt leben, die nur noch aus kaltem Beton, Stahl und Glas besteht, fragt Gluchow.

«Es handelt sich um eine fatale Entwicklung, die nicht auf Kiew beschränkt ist», weiß Roman Cybriwsky, Professor für Geografie und Stadtforschung an der Temple University in Philadelphia. Er weiß auch, dass Menschen wie Oleksandr Gluchow oft einen aussichtslosen Kampf gegen raffgierige Investoren und korrupte Beamte führen. In seinem neuesten Buch «Kyiv, The City of Domes and Demons from the Collapse of Socialism to the Mass Uprising of 2013/14» prangert Cybriwsky den Ruin speziell in der der ukrainischen Hauptstadt an.

«Eine große Anzahl von Gebäuden von anerkanntem historischen Wert ist im Zentrum von Kiew schon abgerissen worden», sagt er. «Oleksandr Gluchows Fall ist kein Einzelfall. Gluchow ist aber einer, der sich entschieden hat, eigenen Komfort und Lebensqualität zu riskieren und zu protestieren, um vielleicht doch ein Gebäude retten zu können», sagt Cybriwsky anerkennend. Und er fährt fort: «Wenn man im Zentrum von Kiew spazieren geht, stößt man auf viele alte Häuser, die eingezäunt sind. Sie werden ›Geister‹ genannt, weil sie schon lange leerstehen. Sie sind eine schweigende Anklage: ›Schaut uns an, ihr Menschen, bald werden wir nicht mehr da sein. Wenn ihr uns vermisst, ist es zu spät.‹»

Cybriwsky kennt die gewieften Strategien der Bauunternehmer. Wenn Bürgerinitiativen wie die Organisation «Save Old Kyiv» versuchen, deren gesetzeswidriges Vorhaben zu vereiteln, gehen plötzlich Häuser in Flammen auf. Die Brandursache wird nie aufgeklärt. Dem Besitzer des von mysteriösem Feuer heimgesuchten Gebäudes bleibt oft nichts anderes übrig, als auf eigene Kosten die versengten Ruinen abtragen zu lassen.

Gluchow erläutert seine Motivation, für den Erhalt historischer Bausubstanz zu kämpfen: «Unser Umfeld beeinflusst unsere Denkweise. Wenn man die Manifestation unserer Geschichte, also die alte Architektur, aus unserem Blickfeld eliminiert, verengt sich unser Wissen um unsere Vergangenheit, werden wir zu geschichtslosen Wesen. Ich bin in Kiew geboren, lebe in dieser Stadt sei 60 Jahren. Es ist meine Stadt, und ich möchte nicht, dass ihr Herz einfriert, sie nur noch aus kalten Bankfilialen und Einkaufszentren besteht. Noch hat Kiew eine wunderschöne, einzigartige Altstadt aufzuweisen. Die Sophien-Kathedrale ist Weltkulturerbe. Wenn die Häuser um sie herum verschwinden, verliert die Altstadt ihr Gesicht. Wir müssen die alten Gebäude vor dem Zugriff der Profiteure schützen, um die historisch gewachsene Ganzheitlichkeit zu erhalten.»

Dank seiner Unermüdlichkeit und einer Portion Medienaufmerksamkeit hat Oleksandr Gluchow vor Gericht gewonnen. «Ich wusste, dass die Investoren versuchen würden, Druck auf das Gericht auszuüben, um das Verfahren für sich zu entscheiden. Deshalb habe ich einige lokale Medien auf den Fall aufmerksam gemacht. Als Journalisten im Gerichtsgebäude mit ihren surrenden Kameras erschienen, erschienen die Richter plötzlich wie ausgewechselt. Sie fürchteten um ihren Ruf, wenn die Öffentlichkeit live miterleben würde, dass sie eine ungerechte Entscheidung treffen. Es dämmerte ihnen auf wundersame Weise, dass sie als Gesetzeshüter dem Gesetz folgen müssen.» Gluchow ist sich sicher: «Ohne das Medieninteresse hätten die Investoren obsiegt.»

Nach dem Gerichtsverfahren wurde das Haus von Gluchow wieder in öffentliches Eigentum zurückgeführt. Damit ist der Kampf für ihn und seine Familie noch längst nicht zu Ende. «Das Haus ist im jetzigen Zustand eigentlich unbewohnbar. Es muss schleunigst restauriert werden, um es vor weiterem Verfall zu retten. Sonst droht ihm das Schicksal all der anderen, bereits der Abrissbirne zum Opfer gefallenen Gebäude. »Die Verantwortung dafür hat nun die Stadtverwaltung«, sagt Gluchow. Er versichert, dass er den Behörden so lange zusetzen werde, bis sie ihrer Verpflichtung nachkommen. Oleksandr Gluchow kapituliert vor nichts und niemand. Das ist so sicher wie das Amen in der Sophia-Kathedrale.

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