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Das stinkende Klassenzimmer

TÜV warnt vor Verwendung schadstoffbelasteter Produkte bei der Renovierung von Schulen

Schadstoffbelastete Lacke, Farben und Fußbodenbeläge können nach einer Schulrenovierung böse Nachwirkungen haben. Der Senat verspricht, er halte sich an Vorgaben.

Kopfschmerzen, Allergien, Atembeschwerden, im schlimmsten Fall Asthma oder Unfruchtbarkeit. Die Schäden, die Walter Dormagen, Mikrobiologe beim TÜV-Rheinland aufzählt, wenn es um Lösungsmittel und Weichmacher in Lacken oder Bodenbelägen wie PVC geht, klingen gruselig. Genau diese Stoffe werden aber verwendet, wenn Klassenräume oder ganze Schulgebäude saniert werden. Laut einer Studie des TÜV-Rheinland ist jedes zweite bis dritte Schulgebäude in Deutschland nach Messungen des Prüfdienstes schadstoffbelastet.

Der TÜV hat in einem Experiment festgestellt, dass Klassenräume, die ausschließlich mit schadstoffarmen und emissionsgeprüften Möbeln und Materialien ausgestattet wurden, deutlich unter dem vom Umweltbundesamt als schädlich eingestuften Wert liegen. Klassenräume, die mit ungeprüften Produkten ausgestattet waren, wiesen eine doppelt so hohe Belastung an schädlichen Teilchen in der Luft auf.

Gemessen wird dabei der TVOC-Wert (Total Volatile Organic Compounds), der die Summe von umherschwirrenden organischen Verbindungen angibt. Das Klassenzimmer mit geprüften Materialien wies demnach nach sieben Tagen einen Wert von 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter auf, das ungeprüfte hingegen 1926. Eklatanter ist der Unterschied, nachdem die beiden Vergleichsklassenräume probeweise saniert und mit neuen Möbeln ausgestattet wurden. Einmal mit zertifizierten Produkten und mit zufällig eingekauften Materialien aus dem Baumarkt. Laut TÜV kosten die geprüften Produkte nur zwei bis drei Prozent mehr.

Im geprüften Raum gab es demnach eine TVOC-Konzentration von 2044 Mikrogramm pro Kubimeter, das Klassenzimmer mit herkömmlichen Produkten wies hingegen selbst nach ein paar Tagen einen Wert von 81 161 Mikrogramm auf. Laut Umweltbundesamt gilt ein Wert von 1000 bis 3000 bei sanierten Räumen als normal. Langfristig sollte der Wert 300 nicht überschritten werden. Ab 25 000 ist der Raum überhaupt nicht mehr nutzbar, so die Einschätzung des Umweltamtes.

»Wenn nicht geprüft schadstoffarm gebaut wird, dann ist es dem Zufall überlassen, ob die Produkte unbedenklich sind oder nicht«, sagt Dormagen. Es gebe bisher keine gesetzlich vorgeschriebenen Höchstgrenzen zur Schadstoffbelastung in geschlossenen Räumen, nur Richtlinien. Meist nehmen die gemessenen Werte ab, nachdem der Raum einige Wochen gelüftet wurde. »Kinder ziehen jedoch unmittelbar nach der Renovierung wieder ein«, sagt Dormagen.

Der Senat versichert, dass es eine Vielzahl von Vorschriften gebe, die beim Bau und der Sanierung von Schulen und Kitas eingehalten werden müssen, dabei handelt es sich um sogenannte »Verwendungsverbote« bestimmter Produkte, die Grundlage für jede Ausschreibung seien. Sie orientieren sich an einem Leitfaden zur Innenraumhygiene des Umweltbundesamtes und des Landesamtes für Arbeitsschutz und Gesundheit. »Sollten Schulleitungen, obwohl von den für den Bau zuständigen Stellen eine Abnahme stattgefunden hat, die Vermutung haben, dass Vorschriften missachtet wurden, müssen sie umgehend die zuständigen Stellen ihres Bezirks informieren«, heißt es aus dem Bildungssenat auf Anfrage. Die Vorschriften gelten »selbstverständlich« auch für modulare Ergänzungsbauten, die der Senat momentan zur Bewältigung des Platzmangels auf vielen Schulgeländen aufstellen lässt.

Nuri Kiefer, Schulleiter der Gemeinschaftsschule Hannah Höch, muss zugeben, dass das Thema Schadstoffbelastung in der Luft bei Lehrern und Schülern aufgrund der momentanen Krisen wie Raum- und Lehrermangel zu kurz kommt. »Auf Renovierungsarbeiten warten wir oft Monate oder Jahre. Dann nehmen Schüler, Eltern und Lehrer das selbst in die Hand, laufen in den nächsten Baumarkt und kaufen das günstigste Produkt«, sagt Kiefer. Auf Zertifikate achtet niemand. Schadstoffmessungen nach Sanierungen seien auch nicht obligatorisch vorgeschrieben. Die müssten beim Bezirksamt beantragt werden. 400 Euro kostet eine Messung pro Standort. »Schüler und Lehrer haben einen Anspruch, auf einen Arbeitsplatz, der nicht krankmacht«, sagt Kiefer.

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