Superargumentation!

Ein Antifaschist steht wegen eines nd-Interviews vor Gericht

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 4 Min.
Antifaschistische Superaktion
Antifaschistische Superaktion

Am 4. Dezember 1994 fackelten »revolutionäre Lesbenfrauengruppen und andere revolutionäre Gruppen« die Union-Druckerei in Weimar ab. Damit nicht genug. Auch Lieferwagen des Brandenburger Presse Vertriebs und der Firma Wolf aus Berlin-Lichtenberg wurden ein Opfer von Brandsätzen. Was war die Begründung für diesen im politischen Demonstrations- und Ordnungsrecht keineswegs zulässigen Zugriff?

Es war der Druck und Vertrieb der sich in dieser Zeit im Aufwind befindlichen rechtsradikalen Wochenzeitung »Junge Freiheit« (JF), der den Zorn der revolutionär gesinnten Lesbenfrauengruppen erregte. In einem ausführlichen Bekennerbrief, der sich in der Westberliner Autonomen-Gazette »INTERIM« Nr. 311 vom 8. Dezember 1994 auf den Seiten drei, vier und fünf dokumentiert findet, türmten sie dabei eine Fülle von Argumenten gegen die »Junge Freiheit« auf, über die es lohnt, auch heute noch nachzudenken.

Aus ihrer Sicht dachte und schrieb die »JF« damals »rassistisch und antisemitisch, frauenfeindlich, völkisch, nationalistisch, elitär, imperialistisch, revanchistisch und revisionistisch.« Mit Verlaub: Was soll auch heute noch daran falsch sein, nach der Lektüre der »Jungen Freiheit« leider feststellen zu müssen, dass das schon vor über 20 Jahren zutreffend von Lesbenfrauengruppen analysiert worden ist? Es gehört zu den Paradoxien der herrschenden Verhältnisse, dass es eben auch die Superargumentation der revolutionären Lesbenfrauengruppen war, die für Forscher von der Bundeswehruniversität in Hamburg und Verfassungsschutz-Intellektuellen vorwiegend aus Nordrhein-Westfalen den Anstoß dafür gab, sich auf öffentlichen Tagungen mit dem erklärtermaßen antidemokratisch ausgerichteten Unwesen der »Jungen Freiheit« auseinanderzusetzen.

Der autonome Antifaschist Bernd Langer hat sich nun im Zusammenhang eines Rückblickes über stets komplex zu denkende autonome Organisierungsfragen der 1990er Jahre in aller Öffentlichkeit die Freiheit genommen, noch einmal zu der besagten Aktion in Weimar Stellung zu nehmen. Völlig zutreffend erinnerte er daran, dass es nicht nur in den 1980er Jahren militante Aktionen gegen Faschisten gab, sondern »auch später (…) zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994.« Bezogen auf die Auswirkungen des ungeheuren Sachschadens in Höhe von einer Million DM, führte er die für jeden Antifaschisten in diesem Land selbstverständliche Binse aus, wenn er feststellt: »Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen.«

Einmal ganz abgesehen davon, dass Genosse Langer mit diesem wichtigen Hinweis auf die Aktion der revolutionären Lesbenfrauengruppen vom Dezember 1994 seine eigene im gleichen Interview getätigte Aussage dementiert, dass es seine Organisation gewesen sein soll, die damals über das »militante Antifa-Monopol« verfügt habe: Gerade weil Langer aus seinem begrenzten Organisationshorizont an die Vielfalt des antifaschistischen Engagements in den Jahren nach dem Mauerfall erinnert, trägt er zur Aufklärung über eine wichtige Etappe linksradikaler Bewegungsgeschichte bei. Mit seinem Standpunkt schließt Langer ganz dicht zu der Superargumentation der Lesbenfrauengruppen aus dem Jahre 1994 auf. Hut ab!

Damit kann ein Generalbundesanwalt a. D., der im Sommer 1993 von der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gefeuert werden musste, weil er die Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der mörderisch erfolgten Festnahme von Wolfgang Grams in Bad Kleinen hinters Licht geführt hat, natürlich nichts anfangen. Und so stellte Alexander von Stahl, der in seiner beschaulichen Welt fest daran glaubt »nicht gleich fünf Zentimeter kleiner (zu) werden, wenn der Begriff Deutschland fällt«, und der sich in renitenter Weise versucht zu weigern, »bei diesem Wort politisch korrekt nur an ewige Schuld und Sühne« zu denken, Strafanzeige gegen Langer wegen »Billigung einer Straftat«, die geeignet sei, den »öffentlichen Frieden zu stören«.

Am 18. Juni 2015 folgte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten dieser Attacke und stellte Langer einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 50 Euro, also sage und schreibe 3000 Euro, zu. Dagegen hat dieser Widerspruch eingelegt, der am 22. September ab 10.30 Uhr vor dem Berliner Amtsgericht verhandelt wird.

Was soll man bitte schön dazu sagen? Einem autonomen Antifaschisten soll das Maul dafür gestopft werden, weil er einer Superargumentation von revolutionären Lesbenfrauengruppen historisch-reflektierte Referenz verliehen hat. Also sowas! Evident ist hier doch allemal, dass eben dieses Land gerade auch in Zukunft im Angesicht von Hass und Ressentiment gegen Flüchtlinge, Frauen, Behinderte, Juden, Sinti, Griechen und Hartz-IVler, von staatlicher NSU-Verwaltung, Pegida, die Partei Die Rechte, NPD, die »Junge Freiheit« usw. erheblich mehr und definitiv nicht weniger Antifaschismus braucht. Eben auch dafür steht Genosse Langer vorhaltlos ein. Deshalb hat er auch in vielfältiger Weise gegen den gegen ihn gerichteten Einschüchterungsversuch eine Superunterstützung verdient.

Prozesstermin: Dienstag, 22. September um 10.15 Uhr, Berlin, Amtsgericht Tiergarten, Turmstraße 91, Raum 572

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