»In Afrika wurde ich stets herzlich empfangen«

Jan Vetter alias Farin Urlaub von der Rockband »Die Ärzte« hat sich auf die Pfade von Flüchtlingen begeben

  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Urlaub, Ihr jüngster Afrika-Bildband dokumentiert eine viermonatige Reise vom Mittelmeer zum Golf von Guinea, bei der sie zehn Länder und die Sahara durchstreiften. Waren Sie auf Sandstürme oder Überfälle vorbereitet?
Wir hofften, dass es nicht passiert. Man kann sich nicht davor schützen. Man muss auf das Glück bauen.

Gibt es im Nirgendwo der Wüste Grenzkontrollen?
Das ist total absurd. Als wir diese Tour fuhren, endete in Algerien die befestigte Straße kurz vor der Grenze zu Niger. Der Grenzer deutete in die entsprechende Himmelsrichtung, aber wir sahen: nichts. Nur Sand. Keine Spur, kein Gebäude. Und dann fuhren wir los ins Niemandsland. Uns war ein bisschen mulmig zumute, aber es war toll!

Führte Ihre Reise auch über die Route, die Flüchtlinge nehmen?
Ich habe die offiziellen Routen gewählt, die Migranten versuchen, diese zu umgehen. Aber wir sind durch Gegenden gefahren, wo auch sie hindurch müssen. Unvorstellbar, was sie durchmachen! Wir hatten den Luxus eines Wagens und genug Wasser dabei, die Flüchtlinge nicht.

Sie sahen viele schreckliche Dinge.
Ja, leider. So sah ich Tote auf der Straße liegen und die Autos fuhren über sie rüber, bis von ihnen nichts mehr übrig blieb. Keiner hielt an, es interessierte nicht, dass dies ein Mensch war. Manche Dinge, die ich erlebte, gebe ich bewusst nicht wider, das würde einen falschen Eindruck erwecken. Ich will nicht nur über Elend schreiben, sondern zeigen, wie interessant unsere Welt ist.

Hat sich Afrika verändert, seit Sie das erste Mal dort waren?
Es gibt dort mehr Wohlstand und Kommunikation als vor 15 Jahren. Heute kann man sich - außer in Kongo - überall eine SIM-Karte holen und oft selbst in abgelegenen Gegenden telefonieren. Auch die Trinkwasserversorgung und die Krankenhäuser werden langsam besser. Andererseits wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Und es gibt heute viel mehr Waffen. Man kommt kaum noch in einen Ort, in dem es keine gibt. Früher hatte der Jäger ein altes Gewehr, heute hat ein afrikanisches Dorf mindestens eine AK 47.

Haben Sie in Afrika den Satz gehört: »Ich möchte nach Europa?«
Bei meiner Reise vom Mittelmeer zum Golf von Guinea. Man begreift, warum sie wegwollen, in manchen Gegenden ist das Leben hoffnungslos. Wenn Rinder verdursten, was bleibt da dem Bauern? Oder es herrscht Bürgerkrieg, die Frauen werden vergewaltigt. Oder es kommen Leute aus dem Norden und sagen: »Ihr müsst jetzt alle an den einzig wahren Propheten glauben. Wenn nicht, schneiden wir euch die Kehlen durch.«

Was sagten Sie den Menschen?
Dass ich sie nicht mitnehmen kann. Sie fragen danach. Manche sind ganz überrascht, dass es in Deutschland Arbeitslosigkeit gibt. Es ist ein total schwieriges Thema, aber man kann und sollte der Diskussion nicht ausweichen. Weil es uns gut geht und vielen anderen nicht. Daran sind die Armen oft überhaupt nicht schuld. Woher nehmen wir das Recht zu sagen: »Die dürfen nicht zu uns kommen«? Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam meine halbe Verwandtschaft aus Schlesien zu Fuß mit dem Leiterwagen hierher. Ihnen hätte man ja auch sagen können: »Ihr habt hier nichts verloren.«

Haben Sie in Afrika noch Orte gesehen, die vom Tourismus völlig unberührt sind?
Wenn man sich dort treiben lässt, kommt man auch in Dörfer, wo vorher noch nie ein Tourist war.

Ist man dort willkommen?
Manchmal ist man sehr willkommen, manchmal sind die Leute verunsichert. Ich habe schon heftige Diskussion zwischen dem Chief und dem Ältestenrat erlebt. Wenn man plausibel erklären kann, warum man Station machen will, bekommt man die Erlaubnis. In einem Dorf wollte uns der Chief allerdings nach zwei Tagen fortjagen, weil er nicht persönlich gefragt worden ist. Aber der Mann, auf dessen Grundstück wir unser Auto parkten, hat uns vor dem Chief verteidigt und am Ende durften wir bleiben. Fünf Jahre später habe ich das Dorf wieder besucht. Da hatten sie schon ein Handy. Die Nummer habe ich gespeichert; ich kriege ab und an mal von dort eine SMS.

Wollen Sie eine Botschaft mit den Afrika-Bänden vermitteln?
Ich will vor allem weg von diesem Opferbild und das Positive zeigen. Und natürlich will ich die Leser neugierig machen auf Afrika, auf die Welt. Einen Auftrag habe ich nicht. Der Erlös der Bände wird diesmal an »Ärzte ohne Grenzen« gespendet. Sie sind dort aktiv, wo ich mich nicht mehr hin traue. Davor habe ich großen Respekt.

Schärft das Reisen in fremde Länder den Blick auf das eigene Land?
In Afrika wird man von Menschen, die nichts haben, herzlich empfangen. Sie lassen alles stehen und liegen, um dir zu helfen. Und dann kommst du zurück nach Deutschland und siehst genau das Gegenteil: Wie die Reichen sich am liebsten zumauern würden, damit man ihnen auch ja nichts wegnimmt. Dann kommt man schon sehr ins Grübeln, ob unsere Prioritäten überhaupt noch die richtigen sind.

Fragen: Olaf Neumann

Farin Urlaub: Unterwegs 3. Vom Mittelmeer zum Golf von Guinea. Unterwegs 4. Vom Golf von Guinea nach Sansibar. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, je Band 352 S., geb., Schmuckschuber, 700 farbige Abb., 199 €. Zudem erschien jetzt die erste Live-DVD des Projekts Farin Urlaub Racing Team: »Danger!«

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