Sozialhilfe in Gefahr

In Dänemark stehen möglicherweise Reformen des Leistungssystems an - Kritik daran wird auch mit den Folgen von Hartz IV begründet

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.
Niedrigere Sozialleistungen führen nicht zu mehr Erwerbstätigen, das zeigt die erste dänische Langzeitstudie zum Thema. Dennoch könnten Kürzungen drohen.

Die rund 180 000 Sozialhilfeempfänger in Dänemark sind eine bedeutende Gruppe unter den etwa 3,5 Millionen Arbeitsfähigen des Landes. Sie kosten den Staat jährlich etwa drei Milliarden Euro - wichtigstes Anliegen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Regierungen ungeachtet parteipolitischer Farbe ist es deshalb, die Zahl zu reduzieren. Die Leistungsbezieher sollen in die Reihen der Lohnempfänger überführt werden, mit Reformen wird versucht, Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen.

Trotz der relativ großen Zahl von Sozialhilfebeziehern gibt es relativ wenige tiefergehende Untersuchungen darüber, welchen Einfluss die Sozialhilfe auf die Kaufkraft hat und wie die Reformen sich auswirken. Insbesondere Langzeitstudien sind Mangelware. Der Rockwool Fonds, eine unabhängige dänische Forschungseinheit, hat sich nun des Themas angenommen und analysierte das frei verfügbare Einkommen von Sozialhilfebeziehern über einen Zeitraum von 25 Jahren.

Zwei zentrale Erkenntnisse ergaben sich dabei: Zum einen ist die Kaufkraft dänischer Sozialhilfeempfänger weiterhin größer als die vergleichbarer Gruppen in Schweden, Holland und Deutschland, allerdings ist die Einkommensschere zu den Lohnempfängern im eigenen Land gewachsen. Die größten finanziellen Einbußen haben alleinstehende Personen, die im Jahr 2012, dem letzten Jahr der Studie, nur noch 31 Prozent des Einkommens der Gehaltsempfänger besaßen. Im Jahr 1988 waren es noch 38 Prozent gewesen. Bei Paaren sank der Wert in diesem Vierteljahrhundert von 57 auf 51 Prozent. Dass die Kaufkraft der Leistungsbezieher gegenüber demjenigen der Vollbeschäftigten sich seit 1988 immer weiter reduziert, sei »politisch so gewollt«, wie Marie Louise Schultz-Nielsen, eine der Verfasserinnen der umfangreichen Studie, erklärte.

Wenig überraschend war denn auch die Reaktion des dänischen Arbeitgeberverbandes DA, der in einer Stellungnahme beklagte, dass soziale Leistungen weiter zu hoch seien und Erwerbslose von der aktiven Arbeitssuche abhielten. Auf strukturelle Ursachen wie den Wegfall zahlreicher Jobs für Ungelernte, auf die viele Sozialhilfebezieher zunächst angewiesen wären, ging der Verband nicht ein.

Aus der offiziellen Statistik lässt sich jedoch ablesen, dass reduzierte Leistungen nur bei einigen Sozialhilfebeziehern mit nicht-westlichem Hintergrund zu den von den Arbeitgebern erwünschten Resultaten führte: Diese Gruppe war zu Beginn des Jahrtausends über mehrere Jahre hinweg nur zum Bezug einer Leistung - der sogenannten Starthilfe - berechtigt, die noch unter der Sozialhilfe und dem Existenzminimum lag. Einige aus dieser Gruppe kamen laut den Zahlen wieder in Arbeit, während andere nun Früh- beziehungsweise Altersrente beziehen. Aus den Statistiken lässt sich ablesen, dass die relative Höhe der Sozialhilfe verglichen mit den Lohneinkommen kaum einen Einfluss darauf hat, wie viele Bezieher eine Arbeit aufnehmen. Wichtiger ist der Zeitraum, in dem Personen Sozialhilfe beziehen. Die Chancen auf eine Arbeitsaufnahme nach mehr als zwei Jahre Leistungsbezug sind demnach gering.

Kritiker des gegenwärtigen Systems weisen im Übrigen auf die Hartz-IV-Reformen hin, die eine Menge Niedriglohnjobs und damit eine wachsende Gruppe der »Working Poor« entstehen ließen. Solle das das Ziel dänischer Arbeitsmarktreformen sein? Die Fragestellung ist relevant, denn in der nächsten Zeit soll die sogenannte Arbeitslosengeld-Kommission ihre Schlussfolgerungen nach über einjähriger Arbeit vorlegen. Niedrigere Sätze für Arbeitslosengeld aber werden wiederum Einfluss auf die Höhe der Sozialhilfe haben. Das soziale Sicherheitsnetz Dänemarks könnte in Zukunft, befürchten die rot-grüne Einheitsliste und Sozialverbände, große Löcher aufweisen und die - im europäischen Vergleich recht hohen - Beträge, die derzeit gezahlt werden, zur Erinnerung machen.

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