Bis der IS zu uns kam

Von Mossul nach Hamburg

  • Ryssan Hameed
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Krieg nahm ihm vieles - aber die Träume bleiben. Der junge Fotograf Ryssan Hameed dokumentierte seine Flucht aus Irak.

Ich bin ein 24-jähriger Fotograf und Künstler. Das heißt: Ich war ein Fotograf und Künstler, bis der Islamische Staat zu uns nach Mossul kam. Schon als Kind zeichnete ich alles ab, was ich finden konnte, bastelte Skulpturen aus Papier. In der Schule entdeckte ein Lehrer mein Talent. Für die nächsten Jahre wurde er mein Mentor. Irgendwann schenkte mir jemand eine Kamera und meine Karriere als Fotograf begann. Als Fotograf machte ich viele künstlerische Arbeiten: Architektur, Menschen, das alltägliche Leben. Ich war Mitglied in Fotografie- und Kunstgesellschaften. Meine Arbeiten wurden auf Kunstfestivals präsentiert, ich trat im Fernsehen auf, gewann Preise. Meine Eltern, meine sechs Geschwister und und ich hatten ein schönes, ein wunderschönes Leben in Mossul. Vor allem war es konstant und friedlich.

Als der Islamische Staat kam, hörte dieses Leben auf. Ich hatte mein Studium fast abgeschlossen, als der Krieg zu uns kam. Im Fernsehen sahen wir die Warnungen, dass die Terroristen auf dem Weg seien. Plötzlich bestand unser Alltag aus Tod und Vertreibung. Die Terroristen töteten nicht nur uns Menschen, sie zerstörten und verbrannten auch unsere Kunst und Museen, unsere Kirchen und Moscheen. Sie eliminierten Künstler und Journalisten. Kurz: Sie vernichteten unsere assyrische Kultur.

Am 7. August 2015 entschied ich mich, meine Heimat zu verlassen. Meine Stadt war zerstört, die Universität geschlossen. Nicht nur meine Zukunft lag in Trümmern. Wie die meisten flüchtete ich über die Grenze zur Türkei. Eine Woche brauchte ich, dann stand ich an der Ägäis. Auf einem überfüllten Schlauchboot setzte ich auf eine der griechischen Inseln über. Drei Tage wartete ich auf die Fähre, dann war ich endlich auf dem griechischen Festland.

Die Reise über den Balkan war schlimm. In Mazedonien schliefen wir auf der Erde. Nach drei Tagen brachte mich ein Zug an die serbische Grenze. Einmal mehr warten und warten. Einmal mehr kein Essen und kein Wasser. Ich schlief auf der Straße, wo gerade Platz war. Die ungarische Grenze erreichten wir mitten in der Nacht. Bis zum nächsten Morgen versteckten wir uns im Gebüsch. Es war kalt. Am frühen Morgen gab uns schließlich jemand das Signal loszurennen. Wir krochen unter dem Grenzzaun durch, rannten und rannten, bis uns irgendwann ein Taxi mitnahm. Ein weiteres Taxi brachte uns von Budapest bis an die ungarisch-österreichische Grenze. Über die Grenze gingen wir zu Fuß, wie auch den Großteil der übrigen 70 Kilometer bis nach Wien. Einen Tag später kam ich per Zug in Hamburg an.

Ich bin immer noch sehr erschöpft von der Flucht, aber ich bin froh, in Deutschland zu sein. Auch wenn ich mir das Land anders vorgestellt habe. 13 Tage lang lebte ich in einem Zelt. Alles dauert sehr lange hier. Es gibt kaum Betreuung für uns. Die hygienischen Zustände sind sehr schlecht. Nachts wird es sehr kalt und wenn es regnet auch nass. Die neue Unterkunft - eine Turnhalle - ist zumindest trocken und sauber.

Einer meiner Brüder hat es auch geschafft, aus Irak zu flüchten. Er lebt jetzt in Österreich. Der Rest meiner Familie ist tot oder noch in Mossul. Die Grenzen sind geschlossen und meine jüngeren Geschwister sind zu klein, um die Flucht zu schaffen. In Deutschland möchte ich gern als erstes Deutsch lernen und dann mein Studium der Bildenden Künste abschließen. Vor allem möchte ich wieder als Fotograf und Filmemacher arbeiten. Der Krieg hat mir vieles genommen, aber diesen Traum werde ich verwirklichen.

Übersetzung: Fabian Köhler

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal