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Aus der Not eine Tugend

Iris Hanika: »Wie der Müll geordnet wird« handelt von Menschen in einer Lebenskrise

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein ungewöhnliches Buch: Gleich zu Anfang gibt es ein Durcheinander der Namen. Auf den ersten Seiten wird von einem »Antonius« erzählt; im weiteren Verlauf heißt er Manfred. Dann ist wieder Antonius sein richtige Name, »denn seine Eltern hatten ihm diesen Namen gegeben, doch stellte er sich vor, dass ihm dieser Name in Kindheit und Jugend peinlich gewesen wäre und er damals lieber Manfred geheißen hätte«.

Dennoch: »Wie der Müll geordnet wird« ist nicht schwierig zu lesen. Ja, es ist sogar ein unterhaltsames, spannendes Buch, mit überraschenden Wendungen und interessanten Ideen. Zwar gibt es keine durchgehende Handlung, aber jeder der vielen Abschnitte ist mit einer instruierenden Überschrift versehen (z.B. »In Wirklichkeit« oder »Draußen in der Welt«). Das Spiel mit den Namen ist dabei Ausdruck der Identitätskrise, in der sich Iris Hanikas etwa fünfzigjähriger Held befindet. Um die Krise zu überwinden, versucht Antonius aus der Not eine Tugend zu machen. Er setzt dem Gefühl der Sinnlosigkeit sinnlose Tätigkeiten entgegen. So geht er in den Hof des Hauses, in dem er wohnt, und sortiert den in die falschen Tonnen geworfenen Müll. Als eines Tages eine Nachbarin ihren Müll neben die Tonne stellt, hat er kurz den Impuls, sie zur Rede stellen. Dann aber fragt er sich: »Wie weit ist es von mir bis zum Blockwart?«

Es wird noch eine Reihe weiterer Geschichten erzählt. So gibt es einen jüdischen Germanisten, der aus den USA nach Berlin an die Freie Universität kommt. Er ist auf der Suche nach einem Buch, mit dem er glaubt, den Mörder seiner Eltern zu finden. Und es gibt eine Barockforscherin, die gemeinsam mit dem Professor an der FU anfängt und ihn über einen Schulfreund auf eine Spur bringt.

Nicht in allen Geschichten geht es unmittelbar um das Thema Ordnung, aber Anspielungen lassen sich immer wieder finden. Und natürlich wird Ordnung in der Form des Romans thematisiert, der in einzelne Abschnitte unterschiedlicher Textsorten zerfällt. Es gibt Erzählungen, deren Handlungen immer wieder unterbrochen und später wieder aufgenommen werden, es gibt lexikonartige Abschnitte und es gibt essayistische Passagen.

Man könnte deshalb denken, es sei das Produkt einer Schreibkrise der Autorin, so, als gelänge ihr kein konsistenter, mehr oder weniger linear erzählter Roman. Aber selbst wenn das so gewesen wäre, überzeugt Iris Hanikas Buch. Denn die Lebenskrise ihrer Protagonisten, deren unsichere Identität und das Gefühl, keinen Sinnzusammenhang mehr im Leben erkennen zu können, drückt sich damit auch in der Form des Buches aus.

Gleichzeitig folgt die Autorin damit Antonius, der aus der Not eine Tugend macht. Denn aus der Not, keinen klassisch-konsistenten Roman schreiben zu können, macht Iris Hanika die Tugend, dass sie der sinnhaften Ordnung, die die klassische Romanform behauptet, die sinnlose (weil abstrakte) Ordnung ihrer Fragmente entgegensetzt. Antonius scheitert mit seiner Strategie und gibt am Ende das Ordnen des Mülls auf.

Ebenso könnte man sagen, dass Iris Hanikas Roman scheitert, weil er die Krise der klassischen Romanform nicht überwinden kann. Denn letztlich gibt es auch bei ihr, wenngleich versteckter, eine Chronologie, durchgehende Figuren, also Sinn, so wie Antonius befürchtet, dass das Müllsammeln den Sinn einer »präfaschistischen Tätigkeit« bekommt. Aber ist dieses Scheitern nicht realistischer, ja ehrlicher, und für den Leser anregender als einer jener konventioneller Romane, die so tun, als gäbe es noch eine feststehende Ordnung, in der alles seinen sinnvollen Platz hat?

Iris Hanika: Wie der Müll geordnet wird. Roman. Literaturverlag Droschl. 304 S., geb., 20 €.

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