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Im vereinten Deutschland entsorgt

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 2 Min.
Ein neues Buch befasst sich mit dem Elitenwechsel nach 1990 in Ostdeutschland. In Potsdam ist es jetzt vorgestellt worden.

Was ist aus den Eliten der untergegangen DDR geworden, welchen Platz fanden sie nach 1990 im vereinigten Deutschland? Davon ist in einem Buch die Rede, das am Dienstagabend in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg vorgestellt wurde. Der Potsdamer Professor Jürgen Angelow widmet sich unter dem Titel »Entsorgt und ausgeblendet« der massiven Verdrängung Ostdeutscher aus leitenden Positionen.

»Keine Gewalt«, hieß es zur Wendezeit. Gewalt aber kann auch sehr wirkungsvoll völlig geräuschlos ausgeübt werden. Der Vorgang, dem ein großer Teil der ostdeutschen Elite nach 1990 ausgesetzt war, habe streckenweise Züge einer geistigen Enthauptung getragen, sagte Angelow. Umgesetzt worden sei ein Konzept einer weitgehenden Ausgrenzung der ostdeutschen Intelligenz - mit teilweise erschreckenden Ergebnissen, die sich auch in späteren Generationen auswirken. 80 Prozent der Professoren im Osten stammten inzwischen aus dem Westen. Und das Verhältnis verschiebe sich weiter zuungunsten des Ostens.

Das eine sei, sich selbst als Verlierer zu betrachten und das eben zu büßen. Doch wie Angelow am Beispiel der Universitäten in Brandenburg nachweist, wirkt sich diese Tendenz auch massiv auf die junge Generation aus: Die entmachteten Ostdeutschen können ihre Kinder nicht unterstützen, in den gut vernetzten Seilschaften des Westens ist für sie kein Platz.

Laut Angelow waren die Betroffen in der DDR auf diesen Prozess schlicht nicht vorbereitet. Meist verfügten sie nicht über die dafür nötige Ellenbogenmentalität, viele seien stigmatisiert oder mit der »Stasi-Keule« erlegt worden.

Jedoch: Pfarrer, Ärzte, die meisten Lehrer, viele Journalisten blieben in ihren Positionen, lernten sich zu arrangieren. In niederen Verwaltungspositionen findet man sie immer noch. Naturwissenschaftler hatten es zudem bei der Übernahme leichter als Gesellschaftswissenschaftler. Jedoch ging das »Ankommen« eines Teils der ostdeutschen Eliten laut Angelow oft mit einer demütigenden Anpassungsleistung einher.

Der Jurist Volkmar Schöneburg schilderte, wie er als Justizminister der LINKEN einem in Teilen illoyalen Block von leitenden Mitarbeitern der brandenburgischen Justizverwaltung gegenüberstand - und letztlich scheiterte. Zunächst sei auch im Osten eine Reihe von hauptsächlich jüngeren Richtern und Staatsanwälten in den Justizdienst übernommen, so Schöneburg. Doch sei es für sie praktisch ausgeschlossen gewesen, eine Führungsposition zu erreichen.

Eine Elitenverdrängung wie in Ostdeutschland - auch das wurde bei der Veranstaltung deutlich - hat es in keinem anderen der ehemals sozialistischen Länder Europas gegeben.

Jürgen Angelow: »Entsorgt und ausgeblendet - Elitenwechsel und Meinungsführerschaft in Ostdeutschland«, Verlag WeltTrends, 168 Seiten, 13,90 Euro.

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