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Der Botticelli-Gestus

Déjà-vu mit dem Renaissance-Meister in der Berliner Gemäldegalerie

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Venus von Botticelli ist das meist zitierte Bild. Aber wie sieht denn die »Schaumgeborene« von Alessandro di Mariano Filipepo (1445-1510) aus? Berühmt wurde der Florentiner Maler mit seinem Beinamen Botticelli, das Fässchen. Und seine vor gut 500 Jahren gemalte Liebesgöttin trug den Namen ihres Meisters bis in die Gegenwart. So sieht man sie und noch vor dem Beschreiben steht die Frage, die auf das Erkennen des gemalten Bildes zielt, sieht man sie so?

Also: Stand-Spielbein-Haltung, der Kopf geneigt. Nahezu schwebend berührt sie leicht mit dem Fuß die Muschel, dank der sie an eine mediterrane Küste gelangt. Ein Mantel - Kleidung möchte man fast schreiben - wird bereitgehalten. Mit keuschen Handbewegungen bedeckt die Göttin, bei den Griechen als Aphrodite bekannt, die rechte Alabasterbrust und beschützt ihre Scham. Einzelne Haarsträhnen vom Wind zerzaust. Rosen am Himmel. Der Meereswind Zephyr, im Arm die Nymphe Cloris, als Helfer.

Irgendein Detail hat man auf jeden Fall abrufbereit im Gedächtnis. Und Bewunderung für die allegorische entrückt-diesseitige Schönmädchenfigur, wie sie sich der Künstler vorgestellt oder in Anlehnung an Simonetta Vaspucci, der »schönsten Frau in Florenz«, ausgeführt hat, ohnehin. Der zunächst als Goldschmied ausgebildete Maler schuf im sogenannten Quattrocento, der Frührenaissance, das erste weibliche Aktbild der Neuzeit und formte »als ein Gedicht aus Linien« ein Ideal, das vor allem seit Beginn der Vormoderne bis in die Gegenwart immer wieder fasziniert. Und obwohl der malerische Gestus, die Farbharmonien aus rosé, goldocker, mint und blau, die mittige Komposition, die leicht verdrehte Gestalt viel mehr umfasst als die gemalten Gesten, bleiben genau diese über die Jahrhunderte hinweg ein Erkennungszeichen. Tomoko Nagao etwa setzt es ironisch in einem Manga ein, bei der die Venus auf eine Spielekonsole steht und als kulleräugiges Püppchen auf einem Meer von Konsumartikeln schwimmt. Der Schönheits-Reflex ist eben interkulturell und die Renaissance(vermarktung) längst globalisiert. Die Botticelli-Venus mit Jacobsmuschel bildet offenbar eine noch größere Projektionsfläche für künstlerische Fantasien als etwa die Mona Lisa. Überbieten konnte man das Bildnis nicht. Perfektion als Endpunkt, wie schon der Botticelli-Biograf Vasari schrieb. Aber begreifen, adaptieren, persiflieren, dekonstruieren...

Die Kuratoren Stefan Weppelmann und Ruben Rebmann haben in der Gemäldegalerie überraschende virtuelle Begegnungen mit den berühmten Renaissance-Werken »Geburt der Venus« und »Primavera« arrangiert. Ausleihbar waren die fragilen Gemälde aus den Florentiner Ufficien nicht. Dafür flaniert durch zweihundert Jahre Kunstgeschichte inklusive Ausflügen in die Mode- und Designwelt (ein Abendkleid von Elsa Schiaparelli 1938 oder mit dem Venus-Antlitz bedrucktes Fashion Design von Dolce&Gabbana aus den Neunzigern) und wird mit einem vielgestaltigen Dejá-vu überrascht. Die ersten beiden Säle widmen sich der Gegenwart, derweil man quasi kunsthistorisch zurückschreitet und über Interpretationen von Degas und Ingres oder Arnold Böcklins Venusgemälde von 1868/69 bis hin zu direkten Kopien von Cesare Mariannecci (1868) und Gustav Moreau (1858/59) oder feinen Detailzeich-nungen von John Ruskin und Charles Herbert Moore die Faszination der Künstler am Botticelli-Motiv erleben kann. Walter Crane notierte 1871 nach einer Rom-Reise: »Botticelli war damals noch nicht von der Kritik wiederentdeckt worden, aber ich werde den Zauber seiner wunderschönen Primavera und Venus nicht vergessen.«

Die verjüngte Rezeption der Antike hatte Botticellis Zeitgenossen inspiriert. Und es ist sicher kein Zufall, dass zur späten Mitte des 19. Jahrhunderts das erste Vibrieren des Neuen den Blick auf den Humanismus des 15. Jahrhunderts lenkte. Die Wiederentdeckung der Renaissance durch die Präraffaeliten hat die europäische Botticelli-Verehrung entfacht. Es ist dabei beredt, wie düster bei Dante Gabriel Rossetti »Der Tagtraum« und bei der Londonerin Evelyn de Morgan geradezu beengend melancholisch die Wiedergeburt der Venus ausfallen, auch wenn diese nur in der Haltung zitiert und ansonsten das Sujet einer jungen Schönheit mit Schlange weiter gefasst ist. Es bleibt auch unübersehbar, um wie viel Grad sich die Verheißung abzukühlen vermag, wenn man Rezeptionen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts - etwa eine neusachlich gemalte Dame im Cafe - betrachtet. Wenig Später war es Mussolini, der mit Renaissance- und Antikeverehrung sein Land bewerben wollte und eine Ausstellung im MoMA initiierte.

Auch die Berliner besitzen eine Botticelli-Venus (1490) - eine ikonenhaft schöne Variante, dabei mehr Mädchen als Göttin, auf schwarzem Grund. Sie bildet in der breiten Schau das »Eichmaß« für Adaptionen von René Magritte, Salvatore Dahli bis in die Gegenwart. Dabei zwei von Andy Warhol Venus-Siebdrucken »Details of Renaissance Paintings« aus den Achtzigern oder die sich gerade erst ihrer Weiblichkeit schüchtern bewusst werdenden Teenager aus der Serie »Beach Portraits« (1992) von Rineke Dijkstra. Die einfühlsamen Fotografien könnten keinen größeren Kontrast zu der grellen Inszenierung eines Models in »Rebirth of Venus« des amerikanischen Fotografen David Lachapelle finden. Die dem Venus-Sujet immanente Genderfrage thematisieren Cindy Sherman in drastischer Selbstinszenierung mit ausschießender Muttermilch oder Joel-Peter Witkin, der 1989 eine Venus mit Penis herzeigt.

Viva Botticelli! Für die mimetische Adaption durch die Besucher der Ausstellung steht vor dem Museum eine Jakobsmuschel parat. Man mag an Walter Benjamin untersuchtes Phänomen des Auraverlustes von Kunstwerken denken. Benjamin verwies in seinem 1937 entstandenen Text »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« darauf, dass sich zugleich mit dem Verschwinden des Auratischen neue Wahrnehmungsqualitäten und Formen der Inbesitznahme etablierten. Dieses Phänomen erlebt man in mannigfaltigen Botticelli-Vervielfältigungspraxen von Reklame über Film bis zur Lady-Gaga-Performance oder Münzprägungen. Von der Markenbildung - selbst Staubsauger und Autoradfelgen werden mit dem Künstler-Namen beworben - zurück zur Kunst! Die historisch-zeitgenössische Rezeptionsschau, zu der auch zwanzig bisher nicht gezeigte Kostbarkeiten des Florentiner Meisters gehören, wurde In Kooperation mit dem Londoner Victoria&Albert-Museum und etlichen privaten und musealen Leihgebern eingerichtet. Die Berliner sind erfreut, dass sie mit vierzig Arbeiten »eine der größte Sammlungen außerhalb Italiens« besitzen und mit Marienbildnissen die »Botticelli-Renaissance« bereichern.

bis 24. Januar, Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, Tiergarten

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