Berlin bleibt sauber

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Woran erkennt man ein funktionierendes Gemeinwesen? Die meisten Bürger dieses Landes würden die Frage wahrscheinlich mit Hinweis auf ein gut ausgebautes Straßennetz, freundliches Servicepersonal im Dienstleistungsgewerbe oder ausreichend Mülleimer im Stadtbild beantworten.

Das ist sicherlich alles wichtig, für den Durchschnittsberliner aber unbedeutend. Sätze wie »Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es auch bleiben! Den Müll oder Abfall entsorgt man in dafür vorgesehenen Mülltonnen oder Abfalleimern.« Oder »In Deutschland bezahlt man erst die Ware im Supermarkt, bevor man sie öffnet« bzw. »Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen«, würden unsereins niemals nicht über die Lippen kommen. Wir wissen: An solche Regeln hält sich hier eh niemand.

Dies gilt vor allem bezüglich der Verrichtung der Notdurft. Es sind aber nicht nur die Hecken und Büsche, die mit Urin besprenkelt werden, auch das Mauerwerk entlang den Straßen bekommt im Laufe eines Sonntagvormittags so einiges an Ammoniak ab, wenn die letzten Gestalten aus den halblegalen Clubs in Lichtenberg taumeln und es nicht mehr bis zum Hostel schaffen.

Besucher aus dem fränkischen Hardheim würden wahrscheinlich nach Anblick solcher Bilder unverzüglich ihren Bürgermeister benachrichtigen, der die eingangs zitierten Sätze kürzlich auf der Webseite seiner rund 4600 Einwohner zählenden Gemeinde als Verhaltensregeln für die knapp 1000 Flüchtlinge veröffentlichen ließ, die seit Kurzem in einer ehemaligen US-Kaserne einquartiert sind.

Das Zusammenleben zwischen Syrern, Ghanaern oder Afghanen und bodenständigen Franken ist nicht einfach, wenn auf einen Flüchtling fünf Hardheimer kommen, das stimmt. Insofern ist für letztere eine Fahrt nach Berlin sicherlich ein Bildungserlebnis. Ihnen sei als Besuchsort der kleine Park auf der Halbinsel Stralau zwischen Rummelsburger Bucht und dem Spreeufer gegenüber dem Treptower Park empfohlen. Von Anfang April bis Ende Oktober hat dort eine kleine Lokalität geöffnet - nicht sehr geräumig, dafür mit allem ausgestattet, was ein Tourist braucht, wenn er nach der Wanderung um die Halbinsel herum ein besonderes Päuschen einlegen muss. In dem kleinen, mit Holz vertäfelten Bau gibt es ein Waschbecken und ein Sitzklo, das auch für Behinderte geeignet ist. Jeden Tag wird diese kostenfreie öffentliche Bedürfnisanstalt gereinigt und mit frischem Toilettenpapier ausgestattet.

Was heißt hier jeden Tag! Jede Nacht! Auf dem Protokollblatt an der Toilettenwand kann der Besucher ablesen, wann die Einrichtung das letzte Mal gereinigt wurde; in der Regel geschieht dies zwischen 3 und 5 Uhr nachts. Meistens weist die Unterschrift der fleißigen Putzkraft auf einen Menschen mit Migrationshintergrund hin, wie man hier bei uns in Berlin in feinstem PC-Bürokraten-Sprech sagt. Berlin, liebe Hardheimer, ist und bleibt sauber, versprochen!

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