Auf Achillesfersen abzielen

In der ersten TV-Debatte der US-Demokraten geht es erstmals zur Sache

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die erste TV-Debatte der US-Demokraten wird am Dienstagabend in Las Vegas stattfinden. Millionen von Amerikanern werden sich von den Möchtegern-Kandidaten, die im innerparteilichen Gerangel nächstes Jahr gerne gerne nominiert werden wollen, einen Eindruck verschaffen.

Ex-First-Lady und Ex-Aussenministerin Hillary Clinton, die das Feld im US-weiten Vergleich anführt, ist den meisten bekannt. Der Senator aus dem Kleinstaat Vermont Bernie Sanders, der in den vergangenen Wochen dicht auf sie aufgeschlossen hat und sich in den beiden Erstwahlstaaten New Hamshire und Iowa sogar auf der Überholspur befindet, ist ebenfalls kein Unbekannter mehr. Ob sich der Vizepräsident Joe Biden in die Runde einmischt, war noch am Dienstagmorgen unklar. Zugesagt haben weitere demokratische Anwärter wie der ehemalige Gouverneur von Maryland Martin O’Malley, der Ex-Senator aus Virginia Jim Webb und der frühere Gouverneur von Rhode Island Lincoln Chafee. Aber deren Umfragewerte befinden sich jeweils bei unter fünf Prozent.

Falls Joe Biden weg bleibt, werden sich alle Augen auf ein erstes Duell – so hoffen jedenfalls die Fernsehsender - zwischen Clinton und Sanders richten. Bisher war davon nichts zu vernehmen. Bei Wahlkampfauftritten ignorierte Clinton Sanders, sie nannte nicht einmal seinen Namen. Und der »Sozialist«, der klassisch sozialdemokratische Positionen vertritt, hielt bislang sein Versprechen, keinen Schmutzwahlkampf zu machen.

Dass der Burgfrieden am Dienstagabend zum offenen Schlagabtausch wird, ist nicht ausgeschlossen. Beide Lager bereiten sich seit Wochen auf die Debatte vor. Akribisch haben die Strategen von Clinton und Sanders die Schwächen und Widersprüche der gegnerischen Seite ausgelotet und in realistisch nachempfundenen Proberunden rhetorisch und inhaltlich durchgespielt. Clinton wird laut dem Washingtoner Magazin »Politico« versuchen, Sanders »unter die Haut zu gehen« und zu provozieren. Sanders, aus dessen Lager vorab allerdings wenig bekannt wurde, ist bestrebt, seine inhaltliche Konsistenz durchzuhalten: die Anprangerung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit in den USA, die Notwendigkeit von Reformen.

Dennoch werden beide versuchen, Pflöcke zu schlagen. Clinton liefert allerhand Angriffsflächen, von ihrer Zustimmung zum Irakkrieg über ihre engen Verbindungen zur Banken- und Finanzwelt bis hin zu opportunistischen Positionswechseln. Erst vor wenigen Tagen sprach sie sich gegen das Freihandelabkommen Trans-Pacific Partnership (TPP) aus. Dabei war sie als Obamas erste Aussenministerin dessen Schlüsselarchitektin.

Aber auch Sanders hat eine offene Flanke, in die Clinton wahrscheinlich stossen wird: die durchaus als ambivalent zu bezeichnende Haltung des »Sozialisten« in punkto Waffengesetzgebung. Denn Bernie Sanders hat sich in diesem Bereich als Abgeordneter und Senator mehrmals realpolitisch-Mitte-rechts positioniert. Anders als Clinton, die konsistent gegen die Interessen der mächtigen Waffenlobby National Rifle Association NRA gestimmt hatte, legte sich Sanders nicht mit der NRA an. Er stimmte beispielsweise 1993 gegen das sogenannte Brady-Gesetz, das Waffenkäufern Hintergrundüberprüfungen abverlangt. Im Jahr 2005 votierte Sanders zugunsten eines Entwurfs, der Waffenhersteller und –händler vor Sammelklagen schützt. In beiden Fällen argumentierte Sanders, eine einheitliche Gesetzgebung auf Bundesebene mache Schiessereien nicht weniger wahrscheinlich. Es gebe »eine Vielzahl von Einzelstaaten in diesem Land, in denen die Leute überhaupt keine Waffenkontrolle wünschen«. Man müsse »miteinander reden«.

Gleichwohl plädierte Sanders immer für ein Verbot von militärischen Waffen. Auch seit den jüngsten Massakern tritt der für strengere Regelungen ein. Dennoch steht Hillary Clinton in dieser Beziehung links von ihm. Als Präsidentin werde sie per Exekutivanordnung den Zugang zu Waffen streng einschränken, lautete nur eine von mehreren Vorschlägen, die sie in den vergangenen Tagen lancierte.

Hintergrund von Sanders Wahlverhalten ist die Wirklichkeit im Bundesstaat Vermont, den er als Senator vertritt. Denn in dem bäuerlichen Kleinstaat sind Besitz von Sportwaffen und privates Jägertum Tradition. Zu seiner parteiübergreifenden Popularität wäre es nie gekommen, wenn er sich mit den Waffen- und Jagdfans angelegt hätte. Ist Clinton gewieft, dann trifft sie am Dienstag die Achillesferse von Sanders – und erhält dafür Beifall von Millionen von Amerikanern, die von den Schiessereien genug haben.
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