Musik in Utrecht gekonnt verpackt

Über 1100 Automaten läuten, schellen und alarmieren im Spieluhrenmuseum der holländischen Stadt

  • Andrea Tebart
  • Lesedauer: 4 Min.
Nur mechanisch spielende Instrumente finden im Spieluhrenmuseum der holländischen Stadt Utrecht Aufnahme. Mehr als 1100 Automaten sind ausgestellt.

Utrecht ist eine sehr holländische Stadt. Mit Grachten, Cafés und vielen Studenten. Bunt eben. Und heiter. Kein Wunder, dass es genau dort ein »Nationalmuseum Speelklok« gibt. Es passt sehr nach Utrecht und ist - aus deutscher Sicht - doch eine Überraschung, denn der westliche Nachbar ist auch ein Land der Spielorgeln. Genau da setzt das Museum an. Es gibt eine einzige Bedingung für alle Ausstellungsstücke: Es müssen mechanisch spielende Instrumente sein.

So stehen in der ehemaligen Kirche »Buurkerk« am Steenweg Spieluhren, Carillon Clocks, Musikboxen, Flötenuhren, Pianolas, Orchestrions, Dreh-, Tanz- und große Jahrmarktorgeln. Sie sind zu unterschiedlichen Zeiten vom 15. Jahrhundert bis heute entstanden. Alle haben eine ganz eigene Geschichte und doch dokumentieren sie einerseits, wie gekonnt Musik »verpackt« worden ist und wie sie andererseits - quasi über die Jahrhunderte - vom Kirchturm in die Wohnstube gelangt ist. Langsam, aber sehr sicher.

Über 1100 Automaten, die faszinieren mit Jazz, Tango, Wiener Walzer, scheppernder Kirmesmusik oder gar einem zarten »Pling-Pling«. Es läutet, schellt, alarmiert und macht Stimmung. Überall. Nahezu jedes einzelne Instrument kann live spielen, so der Ehrgeiz der Museumsmacher. Egal, ob es sich um eine Uhr von Napoleon handelt oder eine Orgel mit Prominenten-Status, die gibt es nämlich auch. Die Instrumente sind schön und spielen Musik. Ganz von selbst.

Wie die besagte Orgel, die Joseph Haydn für die Fürsten von Esterhazy hatte bauen lassen. Und nicht nur das. Natürlich hat er gleich für dieses Instrument auch Musik komponiert. Ein Repertoire, das durchaus im Aufgabenbereich des damaligen Kapellmeisters Haydn lag. Vom österreichischen Eisenstadt gelangte das Instrument jedenfalls später über Umwege nach Utrecht, wo sich die hauseigenen Restauratoren der Orgel annahmen. Sie bauten einen Zylinder nach, und seitdem spielt das Instrument wieder. Stücke von Haydn. Mitten in Holland.

In der Werkstatt des Museums »Speelklok« arbeiten Uhrmacher und Orgelbauer. Bei Bedarf werden Textilrestauratoren hinzugezogen, denn gerade die Kleidung der alten Stücke ist fragil. Das Ungewöhnliche: Besucher dürfen den Restauratoren einmal im Monat bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen und dabei eine Idee von der komplizierten Technik der Automaten bekommen.

Und von ihrer interessanten Geschichte. Denn eigentlich fing alles mit der Zeitrechnung an. An Kirchtürmen zeigten große Ziffernblätter ab dem späten Mittelalter an, was die Uhr geschlagen hatte. Weil es so nett war, kombinierten geniale Holländer ab dem 15. Jahrhundert zur Musik passende Figuren. Das war gewissermaßen die Geburtsstunde überdimensionaler Spieluhren.

Reiche Zeitgenossen wollten dieses Prinzip der Zeit nämlich unbedingt für ihre - deutlich kleineren - Salons haben. Die Geräte wurden also kleiner und handlicher, blieben aber für Normalsterbliche unerschwinglich. So kostete der Automat Mephisto, der jetzt in Utrecht eine Serenade spielt, im Jahr 1880 exakt 550 Francs. Zum Vergleich: für eine Hotelübernachtung zahlte man damals gerade vier Francs.

Aus dem Hype um Spieluhren entstanden Nachfolge-Automaten. Jahrmarktsorgeln machten draußen Reklame für Schiffsschaukeln und Riesenräder, während das Orchestrion in Gebäuden seinen Dienst tat. Angetrieben durch Gewichte, Kurbeln, Dampfmaschinen oder Motoren imitierte es seit dem 18. Jahrhundert ein komplettes Orchester. Besonders geeignet für große Hallen, in denen Opern-Ouvertüren, Märsche, Tanzmusik und ganze Symphonien dargeboten wurden. Und die Musik? Die wurde vorgefertigt mit einer Stiftwalze, später mit Notenrollen oder gelochten Kartonstreifen auf das Instrument übertragen.

Erst Radio und Schallplatte verdrängten mechanische Musikinstrumente. Die neue Technik war billiger und deutlich kleiner als Grammophone und riesige Orchestrien. Und dennoch werden aufwendige Spieluhren mit ihren mechanischen Programmabläufen heute als frühe Vorläufer des Computers angesehen.

Musikalische Links: zu einem spielenden Automaten: www.youtube.com/watch?v=QndCGrxn8NM,

Kirmesmusik: www.youtube.com/watch?v=kUGJ5Ic8jrI,

www.museumspeelklok.nl

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