Atomkonzerne haften länger
Kabinett beschließt Gesetz und Kommission / Expertengremium soll der Finanzierung des Atomausstiegs überprüfen / LINKE: Geld für Atomausstieg reicht nicht
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem die Energiekonzerne beim Atomausstieg langfristig in die Pflicht genommen werden. Die Spitzen der schwarz-roten Koalition beschlossen den Gesetzentwurf zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich, wie aus Regierungskreisen verlautete. Er soll etwa verhindern, dass Konzerne ihr Haftungsvermögen verkleinern, indem sie Tochterfirmen gründen. Die vom Energiekonzern E.on zwischenzeitlich geplante Abspaltung des Atomgeschäfts hatte eine Lücke beim Haftungsrecht gezeigt: Derzeit endet mit der Gründung einer Tochterfirma die sogenannte gesamtschuldnerische Nachhaftung nach fünf Jahren. Sollte ein AKW-Betreiber dann zahlungsunfähig werden, müsste der Steuerzahler für die Kosten aufkommen.
Im September kündigte E.on als Reaktion auf das nun auf den Weg gebrachte Haftungsgesetz an, das Atomgeschäft doch nicht abzuspalten. Die vier Energiekonzerne E.on, RWE, EnBW und Vattenfall sollen laut Gesetz für die finanziellen Verpflichtungen der zu ihnen gehörenden AKW-Betreiber geradestehen, bis die Stilllegung und der Rückbau der AKW und die Entsorgung und Endlagerung der Nuklearabfälle abgeschlossen sind. Auch im Falle einer Abspaltung oder Insolvenz eines Betreibers haftet weiter der Mutterkonzern mit seinem gesamten Vermögen. Die Sonderregelung soll Risiken für die öffentlichen Haushalte verringern.
Das Kabinett beschloss zudem, neben der bestehenden Endlagerkommission ein Expertengremium zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs einzusetzen. Die Kosten für den Rückbau der AKW und die Lagerung und Entsorgung des strahlenden Mülls werden auf mindestens 47,5 Milliarden Euro geschätzt. Geleitet wird die 19-köpfige Kommission vom früheren Hamburger Regierungschef Ole von Beust (CDU), Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und dem ehemaligen Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD). Unter den Mitgliedern finden sich auch der ehemalige Regierungschef Sachsens, Georg Milbradt (CDU), der Ex-Abteilungsleiter Reaktorsicherheit beim Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer und DGB-Präsident Reiner Hoffmann.
Zur Besetzung der Kommissionsspitze gab es Häme vom Sprecher der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt«, Jochen Stay: »Platzeck und von Beust sind ausgewiesene Kenner von Kostenexplosionen bei Großprojekten - Stichwort Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen. Auch beim Abriss der Atomkraftwerke und der langfristige Lagerung von Atommüll ist mit extremen Kostensteigerungen zu rechnen.« Die Kommission müsse im Blick haben, dass Sigmar Gabriels Stresstest vom Wochenende nur mit Kostenschätzungen der AKW-Betreiber gearbeitet habe. Die tatsächlichen Kosten könnten das Mehrfache betragen. Man müsse den Konzernen das Geld sofort abnehmen und in einen öffentlichen Fonds überführen, forderte Stay. Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD) hatte am Samstag das Ergebnis eines Stresstests veröffentlicht, demzufolge die Konzerne genügend Geld zurückgestellt haben.
Auch die energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, traut dem Stresstest nicht: Gabriel beschönige die Ergebnisse, sagte sie gegenüber »nd«. Es fehlten real vermutlich rund 39 Milliarden Euro. So sei die Zinsentwicklung bei den jetzigen Rücklagen zu hoch angesetzt. »Auch die Kosten für die Endlagersuche sind unkalkulierbar«, so Bulling-Schröter. Die LINKE fordert ebenfalls einen öffentlich-rechtlichen Fonds, damit die Rückstellungen vor Spekulation gesichert seien. Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler bezeichnete das geplante Nachhaftungsgesetz ohne einen solchen Fonds gar als »wirkungslos«. Mit Agenturen
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