Schreihälse am Saalmikrofon

Pegida-Ableger macht in Nordhessen Stimmung gegen Asylbewerber

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 2 Min.
Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte wird auch in der nordhessischen Provinz geleistet. Die Wut auf Schutzsuchende führte dort zu »Krawall-E-Mails« an die örtliche Politprominenz.

Bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden hat der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) kürzlich gemeinsam mit Gemeindevertretern Bürgern Rede und Antwort zu einer geplanten Einrichtung für 800 Flüchtlinge gestanden. Nach Angaben eines Augenzeugen hätten auch Anhänger des Kasseler Pediga-Ablegers Kagida an der Versammlung teilgenommen und sich in der Fragerunde gleichzeitig an verschiedene Saalmikrofone postiert, um in ihrem Sinne die »akustische Oberherrschaft« zu gewinnen. Nachdem Lübcke mehrfach unterbrochen wurde, erklärte er an die Adresse der lautstarken »Asylkritiker«: »Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.«

Diese Aussage brachte dem Regierungspräsidenten nach Angaben von Behördensprecher Michael Conrad nicht nur neue Zwischenrufe im Saal ein, sondern ebenfalls eine Flut von »Krawall-E-Mails« mit heftigen Beleidigungen. Lübcke stehe nach wie vor zu seinen Aussagen, die auf der Website seiner Behörde dokumentiert sind. Er habe in der 13 000-Einwohner-Gemeinde bei Kassel eine »aggressive Stimmung« und »zu gleichen Teilen Zustimmung und Ablehnung« wahrgenommen, erklärte Conrad gegenüber dieser Zeitung. Anders als es Berichte aus Lohfelden vermuten ließen, bestehe in Nordhessen gegenüber ankommenden Flüchtlingen unterm Strich eine große Hilfsbereitschaft. So hätten sich zum Beispiel bei der Einrichtung einer Unterkunft im nahe gelegenen Calden spontan 120 Ärzte unaufgefordert zur medizinischen Betreuung gemeldet und über 100 Menschen Kinderwagen für Flüchtlingsfamilien angeboten.

Dass in der traditionell konservativen Hessen-CDU bislang nur ein Landtagsabgeordneter einen »Brandbrief« an Bundeskanzlerin Angela Merkel zur sogenannten Flüchtlingskrise unterzeichnet hat, dürfte vor allem der starken Parteidisziplin in dem von Volker Bouffier geführten Landesverband geschuldet sein. Am vergangenen Wochenende beteiligten sich sogar Mitglieder des CDU-Nachwuchses Junge Union (JU) in Bouffiers Wohnort Gießen an einer Demonstration unter dem Motto »Für Vielfalt - gegen Rassismus«. Dem Aufruf von Gewerkschaften, Kirchen, in der Flüchtlingshilfe tätigen Organisationen, Sportvereinen und Jugendverbänden waren rund 1000 Menschen gefolgt. »Aus Flüchtlingen müssen Mitbürger werden«, so ein JU-Sprecher bei der Kundgebung in der Gießener Fußgängerzone.

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