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Der Triumph des Justin Trudeau

Der Liberale stürzte Kanadas rechten Premier Harper mit absoluter Mehrheit - und steht vor schwierigen Aufgaben

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach fast zehn Jahren im Amt erlebte Kanadas konservativer Premier Stephen Harper ein Debakel. Doch kann der liberale Wahlsieger Trudeau die hohen Erwartungen erfüllen?

Als Justin Trudeau 1971 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa geboren wurde, war Vater Pierre Premierminister des flächenmäßig zweitgrößten Landes der Erde. Nun tritt der 43-Jährige in seine politischen Fußstapfen: Mit ihm als Spitzenkandidat gewann die Liberale Partei mit deutlichem Vorsprung nicht nur schlechthin die Parlamentswahlen. Sie legte rund sechs Prozent zu, kommt damit auf etwa 40 Prozent der Stimmen und mehr als die Hälfte aller Wahlbezirke, so dass die Liberalen nun im 338 Sitze umfassenden Parlament allein regieren können.

Die zuvor als potenzieller Koalitionspartner gehandelte sozialdemokratische Neue Demokratische Partei produzierte dagegen mit ihrem Schwenk Richtung Mitte ein Wahldebakel und erreichte kaum 20 Prozent der Stimmen.

Noch desaströser, weil mit dem Machtverlust verbunden, ist das Abschneiden der Konservativen. Nach fast zehn Jahren im Amt muss Regierungschef Stephen Harper bei nur noch 32 Prozent Zuspruch seinen Hut nehmen. Angesichts von etwa acht Prozent Stimmen und 80 Parlamentssitzen weniger als vor vier Jahren legte der 56-Jährige inzwischen auch sein Amt als Vorsitzender der Konservativen Partei nieder.

Mit Trudeau jun. an der Spitze erlebt die Liberale Partei gleichsam eine politische Wiedergeburt. Die einzige Partei, die seit der Gründung der Kanadischen Konföderation 1867 ununterbrochen existiert, hatte im vergangenen Jahrhundert die mit Abstand meiste Zeit das politische Sagen im Lande. Sie galt geradezu als »natürliche Regierungspartei«. Jeder liberale Parteichef des 20. Jahrhunderts wurde auch Premierminister. Pierre Trudeau war mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 1968 und 1984 Regierungschef. Auf ihn geht auch die kanadische Version einer Verfassung ähnlichen »Bill of Rights« zurück. Doch von jahrelangen internen Machtkämpfen und einem Sponsoring-Skandal um Wahlwerbeagenturen im neuen Jahrhundert gebeutelt, erlitten die Liberalen 2011 schließlich die schwerste Wahlniederlange ihrer Geschichte.

Nun sorgen sie für ein weiteres Novum in der kanadischen Geschichte: Erstmals beerbt der Sohn eines Premierministers den Vater im Amt. Justin Trudeau studierte an der McGill University in Montreal Literatur, erwarb später einen Bachelor of Education, unterrichtete Sozialkunde und Französisch, studierte erneut und dieses Mal Ingenieurwesen und Umweltgeografie - um schließlich als Schauspieler landesweit Schlagzeilen zu machen, mit einer Hauptrolle in der zweiteiligen CBC-Produktion »The Great War« über die Beteiligung Kanadas am Ersten Weltkrieg. Zu seiner Vita gehören aber auch Jobs als Barkeeper, Türsteher, Snowboard-Lehrer und immer wieder Mitarbeit in diversen sozialen Projekten.

Schon als Jugendlicher in der Liberalen Partei engagiert, zog Trudeau jun. 2008 erstmals in das Unterhaus ein. Doch selbst als er 2013 zum Parteichef gewählt wurde, galt er sogar so manchem in den eigenen Reihen noch als politisches Leichtgewicht, dem die intellektuelle Schärfe des Vaters fehlt. Die Konservativen machten diese vermeintliche Unerfahrenheit und Unbedarftheit zu einem Kernpunkt ihrer Wahlkampfstrategie. Doch der vergleichsweise junge liberale Spitzenkandidat bot mehr als nur sein »Sonnyboy«-Lächeln, überzeugte die Wähler mit einem Programm des Wechsels. »Es ist Zeit für Veränderungen in diesem Land, echte Veränderungen«, betonte Trudeau auch in der Wahlnacht vor Hunderten Anhängern in der Ostküstenmetropole Montreal. Er verspricht eine »positive Politik« und will sich dabei vor allem auf die Mittelklasse konzentrieren.

Das wird nicht einfach, meint die Politologin Melanee Thomas von der Universität Calgary. Denn Harper war im Wahlkampf nicht nur wegen seiner harten Haltung in der Flüchtlingskrise unter Druck geraten, sondern auch wegen der schwächelnden Wirtschaft der weltweit elftgrößten Industrienation. Bevor der neue Regierungschef überhaupt an irgendwelche große Vorhaben gehen könne, brauche er erst einmal ein entsprechendes Budget. Und das muss er im Bundesstaat Kanada mit den Provinzen verhandeln - was schon allein schwierig genug werden dürfte, so Thomas.

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