Kleines Organ mit großer Wirkung

In Deutschland leidet fast jeder dritte Erwachsene an einer Fehlfunktion der Schilddrüse

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Erkrankungen der Schilddrüse sind hierzulande weit verbreitet. Wegen ihrer unspezifischen Symptome werden sie jedoch oft falsch behandelt oder zu spät erkannt.

Die Schilddrüse ist ein schmetterlingsförmiges Organ, das sich im vorderen Halsbereich befindet und unterhalb des Kehlkopfes die Luftröhre umlagert. Sie wiegt im Schnitt 20 bis 30 Gramm und erfüllt zahlreiche lebenswichtige Funktionen in unserem Körper.

Hierzu produziert die Schilddrüse drei Hormone. Davon sind zwei aus medizinischer Sicht von besonderer Bedeutung: Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4). Diese auch allgemein als Schilddrüsenhormone bezeichneten Substanzen beeinflussen den Zucker- und Fettstoffwechsel, die Schweißproduktion und die Darmtätigkeit. Überdies wirken sie auf das Herz-Kreislauf-System: Sie erweitern die Blutgefäße, beschleunigen den Herzschlag und erhöhen den Blutdruck. Und sie fördern die Erregbarkeit der Nervenzellen. Eine gesunde Schilddrüse ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für unser psychisches Wohlbefinden.

Die Hormone Trijodthyronin und Thyroxin bestehen zu einem Großteil aus Jod. Da unser Körper dieses Spurenelement nicht selbst herstellen kann, muss es von außen zugeführt werden. Der tägliche Bedarf liegt bei etwa 200 Mikrogramm. Um einer Unterversorgung mit Jod vorzubeugen (denn in Deutschland sind die Böden und alles, was darauf wächst, jodarm), werden zahlreiche Lebensmittel mit Jod angereichert, Salz zum Beispiel. Viele Menschen glauben daher, dass man nur etwas mehr Jodsalz ins Essen streuen müsse, um die Schilddrüse zuverlässig zu schützen. Das ist jedoch ein Irrtum. Das Jod im Salz reiche nicht aus, um den Tagesbedarf zu decken, sagt Dr. Joachim Feldkamp, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie des Klinikums Bielefeld. »Viel wichtiger zur Sättigung des Jodhaushalts ist zum Beispiel Brot, das große Mengen an Jod enthält.« Aber auch Milch, Milchprodukte, Fisch und Meeresfrüchte sind als Jodspender geeignet.

Als drittes Hormon sondert die Schilddrüse Calcitonin ab, und zwar immer dann, wenn die Kalziumkonzentration im Blut zu hoch ist. Das freigesetzte Calcitonin bewirkt, dass der Körper mehr Kalzium in die Knochen einlagert. Darüber hinaus verhindert es, dass die Knochen Kalzium freisetzen. Nach heutigem Erkenntnisstand hat weder ein zu hoher noch ein zu niedriger Calcitoninspiegel nachteiligen Einfluss auf unsere Gesundheit.

Das ist anders, wenn durch eine Fehlfunktion der Schilddrüse ein Überschuss oder Mangel an den Hormonen T3 und T4 besteht. Hier kann es auf lange Sicht zu erheblichen gesundheitlichen Problemen kommen. Anfangs jedoch wissen die Betroffenen oft nicht, woraus ihre Beschwerden resultieren. Denn Erkrankungen der Schilddrüse entwickeln sich schleichend. Viele Menschen leben daher lange mit einer unerkannten Fehlfunktion der Schilddrüse, bevor sie einen Arzt aufsuchen. Aber auch Ärzte tun sich mitunter schwer, sofort die richtige Diagnose zu stellen.

Das gilt vor allem bei einer Unterfunktion der Schilddrüse, die sich durch Symptome wie Müdigkeit, Antriebsschwäche, Gewichtszunahme und depressive Verstimmungen äußert. »Weil die Schilddrüse so stark auf die Psyche wirkt, wurden die Patienten früher manchmal fälschlicherweise zum Psychologen überwiesen«, sagt Lutz Schomburg, Professor am Institut für experimentelle Endokrinologie der Berliner Charité. »Heute wissen die meisten Ärzte besser Bescheid und ordnen entsprechend einen Schilddrüsentest an.« Nach wie vor schwierig gestaltet sich die Diagnose bei Frauen in den Wechseljahren. Denn in dieser Lebensphase sind depressive Verstimmungen nichts Außergewöhnliches. Deshalb werden viele Frauen mit Schilddrüsenproblemen falsch behandelt, was zur Folge hat, dass sich ihre Beschwerden verschlimmern.

Eine Unterfunktion der Schilddrüse ist mitunter angeboren, in den meisten Fällen jedoch entsteht sie infolge einer Entzündung. Als häufigste Ursache für einen Mangel an Schilddrüsenhormonen gilt die sogenannte Hashimoto-Thyreoiditis, eine chronisch verlaufende Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem des Körpers aus bisher ungeklärten Gründen das Gewebe der eigenen Schilddrüse zerstört.

Auch die Überfunktion der Schilddrüse geht zumeist mit einer Autoimmunkrankheit einher: Morbus Basedow. Hierbei binden Antikörper an spezielle Rezeptoren der Schilddrüsenzellen und verstärken so deren Hormonproduktion. Bei älteren Menschen entwickelt sich zudem häufig eine durch Jodmangel bedingte Schilddrüsenautonomie. Autonomie bedeutet hier, dass sich Teile der Schilddrüse vom steuernden Einfluss der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) abkoppeln und vermehrt Hormone produzieren. Dabei vergrößert sich die Schilddrüse und bildet sogenannte heiße Knoten. Nicht zuletzt ist bei einer Schilddrüsenüberfunktion der Stoffwechsel beschleunigt, so dass der Körper mehr Energie verbraucht. Die Betroffenen verlieren deshalb an Gewicht, obwohl sie genügend essen. Weitere Symptome der Erkrankung sind: Nervosität, Schlafstörungen, Herzrasen, Muskelschwäche, Gewichtsverlust, Haarausfall.

Rund ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland leiden an einer Fehlfunktion der Schilddrüse, die sich jedoch in den meisten Fällen gut behandeln lässt. Das kann zum Beispiel mit Tabletten geschehen. Bei einer Unterfunktion erhalten die Patienten synthetisches Thyroxin (T4), das im Körper zugleich die Grundlage bildet für die Herstellung des zweiten lebenswichtigen Hormons T3. Zwar ist eine Schilddrüsenunterfunktion nicht heilbar. Das heißt, die Betroffenen sind lebenslang auf Medikamente angewiesen. Dennoch können sie bei korrekter Einnahme derselben ein völlig normales Leben führen.

Eine Überfunktion wird gewöhnlich mit Thyreostatika behandelt, die auch als »Schilddrüsenblocker« bezeichnet werden. Sie hemmen, wie ihr Name schon sagt, die Funktion der Schilddrüse. Eine Therapie auf dieser Basis dauert bei Morbus Basedow 12 bis 18 Monate. Danach hat sich in rund der Hälfte der Fälle die Erkrankung deutlich gebessert. Weil eine dauerhafte Einnahme von Thyreostatika wegen der damit verbundenen Nebenwirkungen nicht möglich ist, kommt bei vielen Patienten außerdem die sogenannte Radiojodtherapie zur Anwendung. Dabei wird dem Körper radioaktives Jod-131 zugeführt, das sich in der Schilddrüse anreichert und von innen heraus eine Zerstörung des krankhaft veränderten Drüsengewebes bewirkt. Die Strahlung ist dabei so dosiert, dass sie den übrigen Körper kaum belastet. Die Erfolgsquote der Radiojodtherapie liegt heute bei 80 bis 90 Prozent.

Als letzte Möglichkeit bleibt die operative Entfernung der Schilddrüse bzw. der Schilddrüsenknoten. Doch anders als etwa in den USA werde in Deutschland zu schnell operiert - und häufig unnötig, meint Joachim Feldkamp. Das gilt vor allem für die heißen Schilddrüsenknoten, denn die seien im Erwachsenenalter praktisch immer gutartig, so der Experte.

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