Nein-Stimmen gesucht

Kurz vor der Abstimmung über ein neues Sterbehilfegesetz bekommen viele Abgeordnete kalte Füße

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.
Vier Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe stehen am Freitag im Bundestag zur Abstimmung. Der aussichtsreichste will geschäftsmäßig agierende Vereine verbieten, trifft aber auch Ärzte.

Seit Tagen befinden sich die Vertreter eines Gesetzesvorschlags, der ganz den Vorstellungen des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) entspricht und quer durch alle Parteien die meisten Unterstützer findet, im verstärkten Aktionsmodus. Damit am Freitag ja nichts schief geht, rührten sie die Werbetrommel für ihre Idee. Der Bundespräsident pries sie an. Die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und Grünen empfahl sie in einem gemeinsamen Brief allen Abgeordneten - vor einer Abstimmung ohne Fraktionszwang ein zumindest ungewöhnlicher Vorgang, wie die Vertreter der anderen Gesetzentwürfe fanden. Der Gesundheitsminister gab Interviews.

Die Idee besteht darin, geschäftsmäßige Sterbehilfe bei Strafandrohung zu verbieten. Das soll sich vor allem gegen Organisationen wie die des umstrittenen ehemaligen Hamburger Justizsenators Holger Kusch richten, dessen Verein Experten zufolge zahlreiche fragliche Suizidbegleitungen ermöglicht haben soll. Ein Zeitungsbericht führt das Beispiel einer Frau an, die mit über 60 Jahren nicht mehr weiterleben wollte, weil ihr Mann gestorben war. Fragwürdige Geschäfte mit dem Sterben wollen eigentlich auch alle anderen Gesetzesentwürfe verbieten. Doch dieser geht noch einen Schritt weiter und bezieht auch Ärzte ein. Sie würden sich plötzlich in einer rechtlichen Grauzone befinden, assistierten sie mehr als einmal bei einem Suizid. Und welcher Patient würde sich ihnen dann noch in schwerster Not anvertrauen? Michael Brand und Kerstin Griese weisen diesen Vorwurf zwar zurück, doch das macht ihn nicht unberechtigt. Der Brand-Griese-Entwurf könnte heute immerhin 300 Stimmen auf sich vereinen, darunter die der Bundeskanzlerin.

Ein weiterer Gesetzentwurf will ärztliches Standesrecht außer Kraft setzen und Ärzten unter strengen Regeln ausdrücklich erlauben, Suizidbeihilfe zu leisten. Derzeit gilt in zehn von 17 Landesärztekammern der Grundsatz: »Sie (Ärztinnen und Ärzte) dürfen nicht bei der Selbsttötung helfen!« Er ist in § 16 der Musterberufsordnung verankert. Die Unterstützer dieses Entwurfes argumentieren, dass insbesondere Mediziner auf Sterbe- oder Krebsstationen vor strafrechtlichen Ermittlungen geschützt werden müssen.

Doch weder ihrem Gesetzentwurf, noch einem weitergehenden, der auch Sterbeberatung über die ärztliche Schiene hinaus ermöglichen will, wenn sie nicht am Gewinn orientiert ist, werden in der heutigen Abstimmung große Chancen eingeräumt. Das heißt in der Konsequenz: Auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Lebensende werden künftig noch mehr Steine liegen, sollte der von den meisten Abgeordneten favorisierte Gesetzesvorschlag das Rennen machen.

Das haben viele Abgeordnete inzwischen erkannt und bekommen kalte Füße. Lieber würden sie gar kein Gesetz verabschieden als eines mit einer Strafverschärfung. Doch das wäre nur mit einem Trick möglich, denn zunächst sieht das Prozedere im Bundestag vor, über alle Gesetzentwürfe abzustimmen. In der zweiten Runde wird dann nur noch über die beiden Entwürfe mit den meisten Stimmen entschieden. Der Antrag, der sich hier durchsetzen kann, muss dann aber noch in eine dritte Runde. Dort braucht er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Gibt es mehr Nein- als Ja-Stimmen zu dem Entwurf, bleibt alles beim Alten. Enthaltungen zählen nicht.

Dies wollen sich nun die Abgeordneten um den Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze (CDU), die sich für die Möglichkeit einer ärztlich assistierten Selbsttötung einsetzen, sowie die Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast zunutze machen. Sollten sie mit ihren Gesetzentwürfen unterliegen, wollen sie sich spätestens in der dritten Runde zusammentun, um möglichst viele Nein-Stimmen von den 630 Abgeordneten zu bekommen.

Unterstützung erhalten sie dabei von einer Gruppe um Brigitte Zypries (SPD), Katja Keul (Grüne) und den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, Edgar Franke (SPD). Diese Abgeordneten sehen bei allen Entwürfen verfassungsrechtliche Mängel und forderten die Kollegen auf, viermal mit Nein zu stimmen.

Die Sterbehilfe spaltet die Menschen tief. Auf der einen Seite stehen die Gegner, zu denen Frank Ulrich Montgomery, Bundesärztekammer-Präsident, gehört. Er plädiert für den Gesetzentwurf der Abgeordneten Michael Brand und Kerstin Griese und tritt Behauptungen entgegen, diese Regelung würde Ärzte kriminalisieren. Dies werde nur ins Feld geführt, um Abgeordnete und Ärzte zu verunsichern, glaubt er. Montgomery warnt davor, dass die ärztliche Suizidbeihilfe zu einem Bestandteil der Regelversorgung werden könnte. Man brauche Palliativmedizin und Hospizarbeit, aber nicht den schnellen Exit. Auf der anderen Seite finden sich die Befürworter wie die Mitglieder des Humanistischen Verbandes, die Selbstbestimmung für jeden Menschen bis ans Lebensende fordern. Das gewährleiste keiner der Gesetzentwürfe.

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