Was wünschst du dir? Erzähl es mir

Tilman Jens denkt über den Tod nach und ist der Meinung, jeder Mensch sollte sterben dürfen

  • Lesedauer: 8 Min.

Haben Sie selbst schon einen Plan für die letzten Lebensminuten?

Ich habe eine Patientenverfügung verfasst, von der ich hoffe, dass sie mir größere Sicherheit bietet, als sie meinem Vater, Walter Jens, zuteil wurde, bevor er 2013 endlich sterben durfte.

Was steht darin?

Zum Beispiel - und hier folge ich dem Rat des renommierten Patientenanwalts Wolfgang Putz - dass ich mir, würde ich etwa dement oder läge ich im Koma, im Fall einer hinzutretenden Erkrankung, an der ich ohne Heilbehandlung sterben könnte, jede medizinische Intervention verbitte. Also keine Antibiotika bei einer eventuellen Lungenentzündung! Das habe ich aus der traurigen Geschichte meines Vaters gelernt.

Sie schreiben in Ihrem Buch »Du sollst sterben dürfen« über den Tod des Vaters, er sei zwei Jahre zu spät gekommen. Das klingt hart.

Hart war das in der Tat. Mein demenzkranker Vater durfte nicht sterben, obwohl er eine Patientenverfügung hinterlegt hatte. Zweimal erkrankte er an einer schweren Bronchitis, viermal war eine Pneumonie im Anmarsch, aber jede dieser freundlichen Anfragen des Todes wurde mit einem Antibiotikum niedergekämpft. Wir alle, seine Familie, seine Pflegerin, haben ihn - Beschönigung hilft nichts - um einen guten Tod betrogen.

Hätten Sie sich ohne diese persönlichen Erlebnisse so detailliert mit dem Sterben auseinandergesetzt?

Ich bin 60, da denkt man schon gelegentlich über die eigene Endlichkeit nach. Und, klar, wenn ein Journalist oder ein Autor darüber nachdenkt, dann kann es passieren, dass er seine Gedanken auch aufschreibt.

Aber ohne Zweifel, Anlass für mein Buch war die Geschichte meines Vaters, der nicht sterben durfte. Als ich mich dann bundesweit unter Pflegern und Juristen umgehört habe, musste ich feststellen: Das, was meinem Vater widerfuhr, geschieht sehr, sehr häufig: Patientenverfügungen werden schlicht nicht beherzigt. Irgendeine Ausflucht findet sich immer.

In der aktuellen Debatte um die Sterbehilfe wird oftmals das Argument angeführt, dass man etwa dem ärztlich assistierten Suizid einen Riegel vorschieben müsse, weil sonst alte, kranke Menschen in den Freitod getrieben werden könnten - von ihren aufs Erbe versessenen Angehörigen etwa. Das halte ich für ziemlichen Quatsch. Für ein triviales Klischee. Zuallermeist, da bin ich mir sicher, können die Angehörigen, ganz im Gegenteil, einfach nicht loslassen. Sie klammern sich an den letzten Funken Hoffnung. Sie sehen ihren todkranken Verwandten lächeln oder sich an der Sonne erfreuen und behaupten: Seht her, er lebt doch noch gern! Also bitte lasst die Maschinen laufen. An diesem Betrug verdient die Pflegeindustrie Milliarden. Auch deshalb lässt es unsere Gesellschaft, nicht zuletzt die Standesvertretung der Ärzte, an der gebotenen Demut gegenüber den Patienten fehlen.

Viele Menschen wollen sich zu Lebzeiten doch gar keine Gedanken über den Tod machen.

Immerhin hat die Bereitschaft, eine Patientenverfügung zu verfassen, nachweislich zugenommen. Nur: Das, was daraus gefolgert werden müsste - ein kontinuierlicher Dialog über die letzten Dinge -, bleibt gerade in der Familie meist aus. Aber wenn wir etwa das christliche Eheversprechen »bis dass der Tod euch scheidet« ernst nähmen, dann müssten wir mit unserem Partner früh und kontinuierlich in einen Dialog eintreten über die Erwartungen und Ängste, die sich mit unserer Sterblichkeit verbinden.

Es wäre gut, wenn die für mich eher ärgerliche und vor allem überflüssige parlamentarische Debatte wenigstens dazu beitragen könnte, dass wir uns fortan mehr Gedanken machen und das auch unseren Nächsten abverlangen: Welche Erwartungen hast du an deine letzte Stunde, was kann ich dafür tun? Erzähle es mir. Es ist nicht damit getan, eine Patientenverfügung zu verfassen und sie dann in den heimischen Tresor zu verfrachten.

Belehrt durch die Geschichte meines Vaters hat sich meine Mutter, Inge Jens, vorgenommen, die Dinge besser zu regeln. Sie hatte vor vier Wochen einen doppelten Herzinfarkt, ist jetzt in der Reha. Es geht ihr den Umständen entsprechend passabel. Sie ist 88 Jahre alt und macht sich eisern wieder fit. Aber wir haben an ihrem Krankenbett vor ein paar Tagen lange darüber gesprochen, welche Behandlungen sie fortan noch akzeptieren möchte - und welche nicht. Sie ist fest entschlossen, ihre reichlich schwammige Patientenverfügung zu präzisieren. Noch gleicht sie der meines Vaters, die im Anhang meines Buches dokumentiert ist.

Wie soll sie präzisiert werden?

Sie sollte etwa einen Passus enthalten, der ausschließt, ihr eine Änderung des eigenen Willens zu unterstellen, wenn sie im Koma liegt und sich nicht mehr äußern kann.

Kann die verbesserte Betreuung Sterbender, die sogenannte Palliativmedizin, Sterbehilfe überflüssig machen?

Ich denke, der ärztlich assistierte Suizid ist die äußerste Möglichkeit, einem schwer Kranken zu helfen. Eine letzte Hilfe beim Übergang, die Max Schur seinem Patienten Sigmund Freud gewährte, steht nicht im Gegensatz zur Palliativmedizin, sondern ist deren Ultima Ratio.

Heute stehen vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe auf der Tagesordnung des Bundestages. Halten Sie ein neues Gesetz für nötig?

Wenn ich mir die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ansehe, hielte ich es für die beste Lösung, gar nichts zu tun. De facto gilt momentan für einen assistierten Suizid Straffreiheit, weil der Suizid selbst nicht strafbar ist. Damit können, denke ich, Patienten wie Ärzte leben.

Aber geht es nach dem Willen einer gewaltigen Gruppe von Abgeordneten, soll das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Leben an entscheidenden Stellen beschnitten werden. Der, wie ich fürchte, mehrheitsfähige Antrag von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Co zielt nicht zuletzt darauf ab, dass ein Arzt, der mehrfach einem Schwerstkranken zur Erlösung von seinem Leid verhilft, wie etwa der Urologe Uwe-Christin Arnold aus Berlin, wegen wiederholter, vermeintlich gewerbsmäßig gewährter Sterbehilfe belangt werden kann. Da schrillen bei mir alle Alarmglocken. Denn da wird letztlich bereits dem offenen, vertrauten Patientengespräch der Garaus gemacht.

Sie wollen lieber all die Unschärfen behalten, die Sie in Sachen Sterbehilfe jetzt beklagen?

Notgedrungen ja. Wir kommen mit den betonierten Abgrenzungsversuchen ohnehin nicht weiter. Unsere Begrifflichkeiten sind vage: Wenn ich bei einem Nierenkranken die Dialyse einstelle, wollen wir das dann nun aktive oder passive Sterbehilfe nennen? Und ist es nicht ein wenig bigott, dass der Arzt seinem Patienten einen tödlichen Trank bislang zwar hinstellen darf, weil es sich dabei lediglich um Hilfe zum Suizid handelt. Aber wehe, er führt ihm die Schnabeltasse zum Mund - oder injiziert gar. Dann landet er vor dem Kadi.

Das erinnert mich an die Prüderie der US-amerikanischen Gesellschaft, die einst den Beischlaf unter Unverheirateten als sittenwidrig brandmarkte, aber Petting erlaubte.

Was denken Sie, warum das so läuft? Die Gesetzesinitiative kommt aus dem christdemokratischen Bundesgesundheitsministerium ...

... hat aber auch Anhänger unter den LINKEN, das muss man jetzt auch einmal klipp und klar sagen. Die Abgeordnete Kathrin Vogler fürchtet gar einen neuen »Werther-Effekt«. Da sträuben sich die Nackenhaare!

Trotzdem bleibt die Frage, warum.

Ich halte das Ganze auch für einen Versuch des demonstrativen Appeasements, für einen Versuch, die Konservativen, gerade in der Union, zu besänftigen. Also jene, denen Angela Merkel zu sehr in der Mitte steht. Gerade in den Tagen der Flüchtlingsdebatte, so das Kalkül, könnte sich für die Kanzlerin ein durchgepauktes Gesetz auszahlen, das den Wertkonservativen entgegenkommt, insbesondere den kirchlich gebundenen. Gerade die Kirchen aber sind aus meiner Sicht in dieser ganzen Debatte nicht die Lösung des Problems, sondern dessen Teil. Ich frage mich als Christenmensch, ob es wirklich theologisch vertretbar ist und Gottes Wille entspricht, schwerstkranke Menschen leiden, elend krepieren zu lassen, deren Leben durch die moderne Medizin oft genug qualvoll in die Länge gezogen wurde.

Sind Sie religiös?

Gute und schwere Frage. Ja, das Spirituelle hat für mich elementare Bedeutung. Ich sehe mich allerdings nicht, obwohl ich noch Kirchensteuer zahle, primär in der verblichenen Amtskirchenautorität verhaftet.

Für welchen der vorliegenden Gesetzentwürfe würden Sie sich entscheiden?

Ich würde, wenn ich denn partout abstimmen müsste, den Antrag präferieren, den eine Gruppe um die Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring (Grüne) und Petra Sitte (LINKE) eingereicht haben. Sie wollen mehr Fürsorge und nicht den Staatsanwalt am Totenbett.

Ärzte wollen zum großen Teil nicht an der Beihilfe zum Suizid beteiligt werden. Warum ist das so?

Das kann man, glaube ich, nicht so pauschalisieren. Es gibt eine ganze Reihe von Ärzten, die sagen, sie haben den Schritt schon einmal aus Überzeugung getan. Aber selbstverständlich muss gelten: Kein Arzt darf gezwungen werden, einen Suizid assistierend zu begleiten. Er ist allein seinem Gewissen verpflichtet, also - bittschön - auch keinen ökonomischen Interessen. Der Großteil des Umsatzes mit den Kranken, auch darüber schreibe ich in meinem Buch, wird in den letzten Lebensjahren gemacht. Die Krankenhäuser, die Ärzte, die Hersteller von PEG-Sonden verdienen sich in dieser Zeit eine goldene Nase. Auch darüber sollte endlich geredet werden.

Gegen all das hat man ja als Patient praktisch wenig Möglichkeiten.

Man sollte um diese Dinge aber wissen und sie wenigstens beim Namen nennen. Die gegenwärtige Debatte scheint mir ebenso aufgeblasen wie scheinheilig, vor allem die gebetsmühlenartige Berufung auf den Hippokratischen Eid. Wer ihn wörtlich nimmt, der darf nicht einmal einen Blinddarm entfernen, denn das Gelöbnis verbietet auch jegliches Schneiden. Ich meine, da hat sich innerhalb von gut 2000 Jahren doch einiges verändert. Nein, das sind Scheinargumente, ideologische Mogelpackungen. Eigentlich geht es nur, wie so oft, um Geld und um Macht.

Tilman Jens: Du sollst sterben dürfen. Warum es mit einer Patientenverfügung nicht getan ist. Gütersloher Verlagshaus 2015, 183 Seiten, 17,99 €.

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