Drei Ex sollen es richten

Ökonomen raten Atomkommission zur schrittweisen Schaffung eines Fonds

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Forscher warnen, dass die Bürger für die Kosten des Atomausstiegs zahlen müssen. Denn die Atomrücklagen sind bisher zu gering und bei den Konzernen nicht sicher.

130 000 Unterschriften bekamen Jürgen Trittin (Grüne) und Matthias Platzeck (SPD) mit auf den Weg, als sie sich am Donnerstag zur ersten Sitzung der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs aufmachten. Bis Ende Januar 2016 soll das Gremium Empfehlungen vorlegen. Der Ex-Umweltminister und Brandenburgs Ex-Ministerpräsident leiten zusammen mit einem weiteren Ex, dem früheren Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU), die Kommission.

Ihnen sollten die Unterschriften deutlich machen, dass sie die Energiekonzerne »nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden« dürfen. So formulierte es Franziska Buch vom Umweltinstitut München, deren Verein zusammen mit den Anti-Atom-Aktivisten von ausgestrahlt die Unterschriften gesammelt hat. Denn die Angst ist groß, dass die Steuerzahler für die Folgekosten der Kernenergie - AKW-Rückbau und Endlager - aufkommen müssen. Und dabei geht es um sehr viel Geld. Rechnet man alle Preissteigerungen ein, so könnte die Abwicklung der Atomkraft hierzulande bis 2099 fast 170 Milliarden Euro verschlingen. Diese Zahl berechneten nicht Atomkraftgegner, sondern Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums.

Bei solchen Summen werden Erinnerungen an die Finanzkrise wach, als die Staaten mit Milliarden marode Banken retteten. So macht das Schlagwort der »Bad Bank für AKW« bereits die Runde. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) brachte deswegen ein Gesetz auf den Weg, um sicherzustellen, dass Konzerne für ihre alten AKW haften, auch wenn sie ihre Atomsparte abspalten.

Den Umweltaktivisten ist dies zu wenig. Sie fordern, dass die Rückstellungen der Konzerne für Rückbau und Endlagerung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überstellt werden - inklusive Nachhaftungspflicht. So soll nach dem Verursacherprinzip sichergestellt werden, dass die Konzerne und nicht die Steuerzahler für die Folgekosten der Atomkraft aufkommen. Fallende Strompreise und andere Herausforderungen lassen jedoch zweifeln, dass die 38 Milliarden Euro an Rückstellungen, die die Energieriesen bisher gebildet haben, wirklich sicher sind. Insbesondere RWE steckt derzeit in einer schweren Krise.

Ähnliches wie die Unterschriftensammler fordert auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das bis 2050 ein Europa ohne Kernenergie für möglich hält. »Deutlich gestiegene Investitionskosten für neue Atomkraftwerke, zunehmende Betriebskosten und ungelöste Fragen des Rückbaus und der Endlagerung machen die Technologie auch wirtschaftlich derart unattraktiv, dass es eine Renaissance der Atomkraft nicht gibt und auch nicht mehr geben wird«, erklärt DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert. So ist der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromproduktion in den vergangenen 20 Jahren von 17 auf 11 Prozent gesunken.

Ohne Subventionen war die strahlende Stromgewinnung noch nie konkurrenzfähig. Und auch die ersten Verlautbarungen aus der neuen Kommission lassen nichts Gutes für die Allgemeinheit erahnen. »Ich kenne bislang kein Szenario, das den Steuerzahler ganz verschont«, zitierte »Spiegel Online« am Donnerstag ein Mitglied des Gremiums. »Die AKW abreißen, das schaffen die Konzerne finanziell wohl noch«, sagt ein anderes Mitglied. »Ich frage mich aber, wo das Geld herkommen soll, die radioaktiven Trümmer zu entsorgen.«

So pessimistisch ist das DIW nicht. Es schlägt vor, dass die Stromkonzerne in Anlehnung an die Aufbauphase des Bankenrettungsfonds über acht bis zehn Jahre in einen Atomfonds einzahlen. Dieser könnte die Rechtsform eines Sondervermögens des Bundes oder einer öffentlich-rechtlichen Stiftung haben. Von der Schaffung einer privaten Stiftung, wie sie die Konzerne ins Spiel gebracht haben, raten die Ökonomen jedoch ab.

Auch reichen die bisher gebildeten Rückstellungen wahrscheinlich nicht aus. Zwar müssen die Konzerne nicht die gesamten veranschlagten 170 Milliarden Euro aufbringen. Denn das Geld soll im zu schaffenden Fonds angelegt werden und Rendite abwerfen. Doch bei einem Zinssatz von 1,5 Prozent, der angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase und unkalkulierbarer Risiken realistisch ist, müssten bis 2024 immer noch 82 Milliarden Euro zusammenkommen, damit die Steuerzahler nicht herhalten müssen.

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