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Macri steht für einen neoliberalen Angriff

Andrés Ruggeri über instandbesetzte Betriebe in Argentinien, die Ära Kirchner und die Gefahr eines Rechtsrucks

  • Lesedauer: 6 Min.

Die Ära der Präsidenten Néstor und Cristina Kirchner wird in wenigen Tagen nach zwölf Jahren enden. Sie untersuchen seit 13 Jahren die instandbesetzten Betriebe. Wie beurteilen Sie die Kirchner-Jahre?

Zunächst einmal muss ich anmerken, dass es das Phänomen der instandbesetzten Betriebe schon in den 1990er Jahren gab. Als Néstor Kirchner 2003 Präsident wurde, gab es also schon eine recht große Zahl an solchen Betrieben. Die Politik der Kirchners bestand, würde ich sagen, aus Nicht-Opposition: Die Regierung legte den Betrieben keine Steine in den Weg, förderte sie aber auch nicht. Sie beurteilten dieses Thema als etwas Nebensächliches, das vorübergeht, wenn sich die Wirtschaft erst vollständig erholt haben würde. Diese Sichtweise hat sie nie überwunden. Deshalb gibt es im argentinischen Staat bis heute keine zentrale Stelle, die sich mit Problemen der instandbesetzten Betriebe befasst. Es gibt ein Programm des Arbeitsministeriums, ein weiteres im Entwicklungsministerium, ein nationales Institut für Genossenschaften und Kooperativen und so weiter. Aber es gibt keine einheitliche Politik. Auch was die Gesetzgebung angeht, hat die Regierung, von einer Reform des Konkursgesetzes abgesehen, nicht allzu viele Fortschritte erzielt.

Es scheint so, dass die Regierungen Kirchner lediglich eine Integration der Betriebe in den Markt zugelassen haben, aber nie ein alternatives, beispielsweise sozialistisches, Modell entwickelten.

Ganz sicher. Zu keinem Zeitpunkt hat die Regierung ein sozialistisches oder alternatives Modell in Erwägung gezogen. Sie hatte in Wirklichkeit ein entwicklungspolitisches, ein neo-keynesianisches Wirtschaftsmodell. Sie ist davon ausgegangen, dass in dem Moment, in dem sich die Wirtschaft erholt, die Arbeiter in privaten oder öffentlichen Unternehmen unterkommen würden - instandbesetzte Betriebe und Kooperativen wären dann überflüssig. Deshalb hat sie niemals ernsthaft das Modell der Selbstverwaltung unterstützt. Jetzt, vor der Neuwahl der Regierung und dem möglichen Triumph eines rechten Kandidaten wie Mauricio Macri, ist die Perspektive für die Betriebe ziemlich unsicher.

Was erwarten Sie im Fall eines Wahlsieges von Macri konkret?

Die instandbesetzten Betriebe würden weiterhin mit den Problemen zu kämpfen haben, die in der Vergangenheit verschleppt wurden. Sie würden sich weiterhin tagtäglich mit den Marktgesetzen herumschlagen müssen. Außerdem würden sie sich aber einem neoliberalen Angriff ausgesetzt sehen, der sie zerstören will, das ist zumindest sehr wahrscheinlich. Für die bereits existierenden Betriebe würde es in diesem Fall große juristische und wirtschaftliche Probleme geben, sie werden sie wohl räumen wollen. Doch falls das neoliberale Modell wieder in Kraft tritt und Unternehmen geschlossen werden, wird es auch mehr Besetzungen und Kämpfe geben. Es wäre eine schwierige Zeit, sie könnte aber paradoxerweise auch zu einem Wachstum dieser Bewegung führen.

Und falls Daniel Scioli, der Kandidat des Regierungslagers Front für den Sieg, gewinnt?

Keiner der beiden Präsidentschaftskandidaten ist besonders links. Scioli scheint aber wenigstens nicht gegen die Betriebe zu sein. Ich weiß aber nicht, ob er viel für sie tun wird. Scioli hat die Schaffung eines Ministeriums angekündigt, das er Ministerio de Economía Popular (dt. etwa: Ministerium für Populare Wirtschaft) genannt hat. Was das für die instandbesetzten Betriebe bedeutet, falls er sein Versprechen hält, ist unklar. Aber immerhin würde dieses Ministerium die zerstreuten Initiativen der Regierung im sozialen Bereich bündeln. Die Regierung Scioli wäre also nicht eindeutig gegen die instandbesetzten Betriebe. Die Regierung Macri wäre es ganz sicher.

Es gibt relativ viele instandbesetzte Betriebe, aber dennoch sind sie - wie die politische Linke Argentiniens - marginalisiert. Haben Sie Hoffnung, dass sie ein wirklich relevanter Faktor werden können?

Im Moment gibt es ungefähr 350 instandbesetzte Betriebe. Ich weiß nicht, ob sie ein politisch oder wirtschaftlich relevanter Faktor sind. Sie sind jedenfalls Akteure, die alternatives Wirtschaften in der Wirklichkeit schaffen, und zwar aus einer Notwendigkeit heraus: aus dem Bedürfnis an Arbeit und aus dem Bedürfnis, die Produktionsstätten zu erhalten. Diese Stärke ist aber auch ihre Schwäche, da sie sehr von der wirtschaftlichen Situation abhängen.

In Ihrem Buch von 2014 über die »Fabricas Recuperadas« schreiben Sie, in den Jahren 2012 und 2013 habe es besonders viele Besetzungen gegeben. Hat sich diese Entwicklung fortgesetzt?

Sie hat sich sogar beschleunigt. 2014 und 2015 gab es weitere Besetzungen. Ende 2013 hatten wir 310 instandbesetzte Betriebe, seitdem kamen circa 40 Betriebe hinzu.

Hängt das mit der jüngsten Protestwelle zusammen?

Es hängt im Allgemeinen mit der wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Situation bestimmter Sektoren - nicht unbedingt mit der Gesamtwirtschaft - zusammen. Es gab viele Instandbesetzungen in der Gastronomie, in Restaurants, in der Textilwirtschaft, in Druckereien. Also nicht in den Industrie- und Metallgewerkschaften, die momentan besonders mächtig sind und die im Krisenjahr 2001 die meisten Unternehmen instandbesetzt haben. Die Betriebe entstehen jetzt in anderen Sektoren als damals.

Hat sich auch die Art des Kampfs verändert?

Nein, die Methode bleibt die gleiche. Die Arbeiter haben diese Methodik gelernt und nutzen sie. Gleichzeitig hat man auf der anderen Seite, auf der Seite der Eigentümer, ebenfalls die Lehren gezogen. Jetzt reagieren sie mit mehr juristischen Mitteln, beschuldigen die Arbeiter der Usurpation, strengen immer längere Prozesse an und versuchen diese in ihrem Sinn zu beeinflussen. Aber ansonsten sind die Konflikte ziemlich gleich geblieben.

Wie hat man sich das vorzustellen? Die Arbeiter finden ihren Arbeitsplatz mit einem Schloss verschlossen vor, brechen es auf, gehen rein und bringen den Betrieb wieder in Gang?

Manchmal ist es so, manchmal ist es nicht nötig, weil sie gleich drinnen bleiben. Inzwischen kommt es oft vor, dass die Arbeiter den Plan der Bosse vorhersehen und den Betrieb besetzen, bevor er geschlossen wird. Und sie haben ihre Kooperative schon gegründet, bevor der Chef Bankrott anmeldet. Sie können das antizipieren, weil schon Erfahrungen gemacht wurden. Die ersten Instandbesetzer hatten diese Möglichkeit nicht, sie mussten improvisieren und wussten nicht, was geschehen würde.

Wie sieht es mit Ihrem Programm »Offene Fakultät« aus: Ist das durch einen Regierungswechsel in Gefahr, wenn, sagen wir, Macri gewählt wird?

Nein, vielmehr wäre in diesem Fall die öffentliche Universität in Gefahr. Wir sind ein Programm innerhalb einer öffentlichen Universität und hier gilt grundsätzlich die Hochschulautonomie. Innerhalb der Universitäten wird es deshalb wohl keine grundlegenden Änderungen geben. Sicherlich würden wir auf einige Projektgelder des Bildungsministeriums verzichten müssen, es würde wohl schwieriger. Aber es wären schwere Zeiten für uns alle. Wir haben das Experiment des Neoliberalismus schon einmal erlebt und wissen, was dann auf uns zukommt.

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