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Gruppenweise über die Brücke

In der bayerisch-österreichischen 
Grenzregion erfüllen sich und enden 
Träume von Geflüchteten

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 5 Min.
Haben es Geflüchtete nach Bayern geschafft, sind viele nur vorerst in Sicherheit. Denn zum deutschen Asylsystem gehört auch die Abschiebung.

Die Grenze zwischen dem bayerischen Simbach am Inn und dem österreichischen Braunau verläuft in der Mitte des Inns. Und genau hier standen im Oktober die Flüchtlinge auf der Brücke und warteten, bis sie die deutsche Bundespolizei einreisen ließ. Die Bilder füllten Zeitungsseiten und die Nachrichtensendungen im Fernsehen. An diesem Tag ist davon nichts mehr zu sehen. Die Innbrücke ist menschenleer, nur ab und zu passieren einige Pkw die Grenze. Auf deutscher Seite stehen zwei Bundespolizisten vor einem grünen Militärzelt und haben offensichtlich nichts zu tun.

Doch wo sind die »Ströme« von Asylbewerbern, die für manche den Untergang des Abendlandes bedeuten? Die Wahrheit ist, dass an der deutschen Grenze zu Österreich nach einigen Chaostagen längst wieder jene »Ordnung« herrscht, die nicht nur von CSU-Politikern in höchster Erregung gefordert wird. »Täglich kommen 2000 bis 2500 Flüchtlinge über die Grenze«, sagt Rainer Scharf, Pressesprecher der Bundespolizei in Rosenheim. Aber der Grenzübertritt geschieht geordnet und die Flüchtlinge werden registriert. Eine der Routen ist die Bahnstrecke von Kufstein nach Rosenheim, die andere geht über die Saalbrücke bei Freilassing. Auf beiden Seiten der Grenze sorgen zahlreiche Beamte für Ordnung. So sind allein bei der Bundespolizei in Rosenheim 550 Bundespolizisten im Einsatz, hinzu kommen bis zu 700 Beamte der Bereitschaftspolizei sowie Zollbeamte. Die Bundeswehr leistet mit Bussen und bei der Registrierung der Asylbewerber Amtshilfe. Um Schleuser und illegale Grenzgänger aufzugreifen, kontrolliert die Bundespolizei in Grenznähe. Hinzu kommt dann noch die sogenannte Schleierfahndung der bayerischen Polizei.

Und grenznah ist auch das aktuelle zentrale Abschiebegefängnis für Bayern in Mühldorf am Inn, 40 Kilometer westlich der österreichischen Grenze gelegen. Es ist 11.30 Uhr, als sich im Flur eine kleine Schlange vor der Essensausgabe bildet: Meist jüngere Männer in grauer Anstaltskleidung. Vorne teilen die Justizbeamten das Mittagessen aus. Am heutigen Montag stehen Buletten, die in Bayern Fleischpflanzerl heißen, mit Kartoffelsalat auf dem Programm. Die meisten nehmen ihr Essen mit in die Gemeinschaftszellen, einige lassen sich in der großen Halle nieder. Früher, als die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Mühldorf am Inn noch ein normaler Knast war, diente der Raum als Arbeitsbetrieb. Heute stehen hier zwei Tischtennisplatten und in einer Ecke ein paar Geräte für den Kraftsport. Hinter den vergitterten Fenstern ist der Stacheldraht zu sehen. Um die Häftlinge der JVA Mühldorf kümmert sich Bruder Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst.

Einmal in der Woche fährt er von München aus in das rund 80 Kilometer entfernte Mühldorf am Inn. Das Gefängnis liegt in einem Gewerbegebiet, auf der anderen Straßenseite werben große Plakate für ein Spielkasino. Wer die JVA betritt, durchläuft die übliche Routine: Abgabe des Personalausweises und der Autoschlüssel an der Pforte, erst dann öffnet sich die zweite Tür der Sicherheitsschleuse in das Innere des Gebäudes. »Wir sind hier die einzigen, die eine Rechtsberatung machen«, sagt der 58-jährige Jesuit. Er verkörpert sozusagen die süddeutsche Außenstelle des 1980 gegründeten und in Berlin ansässigen Flüchtlingsdienstes, seine Aufgabe besteht in der Betreuung von Kirchenasylen und eben der Gefangenen in Abschiebehaft. Dort geht es auch um Seelsorge, vor allem aber um Rechtsbeistand. Um diesen müssen sich die Gefangenen selbst kümmern, wenn sie Rechtsmittel gegen die bevorstehende Abschiebung einlegen wollen. Bruder Müller und seine zwei ehrenamtliche Helfer sprechen mit den Flüchtlingen, prüfen, ob es sinnvoll ist, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Ein bis dreimal pro Woche ist das der Fall. Der Flüchtlingsdienst der Jesuiten übernimmt die Kosten und versorgt die Gefangenen auch mit Telefonkarten, so dass sie Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen können. Besonders nahe gehen dem Seelsorger jene Fälle, bei denen die Betroffenen Frau und Kinder hier haben.

Dass in der Mühldorfer JVA ausschließlich Abschiebehäftlinge untergebracht sind, ist erst seit zwei Jahren der Fall. Und beruht auf der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, wonach Abschiebegefangene nicht zusammen mit Kriminellen in normalen Gefängnissen untergebracht sein dürfen. Die Haftbedingungen sollen freizügiger sein. »Den Häftlingen geht es besser als früher«, ist dann auch das Urteil von Bruder Müller, auch wenn dies vor allem eine Folge der Rechtsprechung und nicht der politischen Einsicht sei.

So sind die Abschiebegefangenen in Mühldorf meist in Gemeinschaftszellen untergebracht, die Türen stehen tagsüber offen. Einschluss ist von 19 bis 7 Uhr. Die Inhaftierten müssen Anstaltskleidung tragen, das liegt aber vor allem an der fehlenden Waschmöglichkeit für die zivile Kleidung. Der Fernseher in den Zellen ist kostenlos. Das ist in normalen Gefängnissen nicht so, in Stadelheim mussten die Gefangenen dafür an die 15 Euro pro Monat bezahlen, erinnert sich Bruder Müller. Doch trotz der Hafterleichterung bleibt das Abschiebegefängnis ein Gefängnis. Der Hof für den Freigang ist mit Stacheldraht gesichert, die Zellenfenster vergittert, die Türen zu den Abteilungen abgesperrt.

24 Insassen zählt derzeit die JVA in Mühldorf, darunter eine Frau. Die durchschnittliche Verweildauer bis zur Abschiebung beträgt 21 Tage. Abschiebegefangene sind Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde und bei denen die Gefahr des Untertauchens angenommen wird. »In den 1990er Jahren«, so Bruder Müller, »wurde die gesetzliche Vorgabe, die Abschiebehaft nur als letztes Mittel einzusetzen, permanent unterlaufen.« So wurden in Berlin jährlich mehr als 5000 Flüchtlinge inhaftiert. Inzwischen hat sich die Situation durch die Rechtsprechen verbessert, seit 1. August 2015 muss die Fluchtgefahr auf »objektiven festgelegten Kriterien« beruhen. Die freilich, so die Kritik des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, noch »überwiegend vage formuliert« seien und leicht zu Ungunsten des Betroffenen ausgelegt werden könnten. Jetzt seien die Gerichte gefragt, diese Kriterien in Einzelfällen auf die Probe zu stellen.

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