Darfst Du nicht zur COP, kommt die COP zu Dir

  • Eva Bulling-Schröter
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Klimakonferenz ist diese Nacht zu Ende. Ein neuer Weltklimavertrag will die Welt möglichst nicht über 1,5 Grad erwärmen. Davor: Hausbesuch bei einem Klimaaktivisten in Hausarrest.

Gerade wurde das Abkommen von Paris beschlossen. Außenminister Fabius hat den Holzhammer geschlagen, ein neuer Vertrag, er gilt.

Sonnabend. Paris trauert um die Opfer der Attentate. Morgen genau einen Monat ist es her, dass die Islamisten in der Stadt der Liebe Amok laufen. Der Krieg im Nahen Osten geht weiter. Im syrischen Homs geht eine Autobombe hoch: 15 Tote, viele Verletzte. Auch hier die Opfer wieder alles Zivilisten. Der Klimapoker geht derweil ins Endspiel. In den Konferenzhallen von Le Bourget ist gespenstische Ruhe eingekehrt. Ruhe vor dem Sturm. Die Delegationen der COP21 räumen ihre Holzverschläge leer. Viele der 45.000 TeilnehmerInnen des Mega-Events, das als historischer Moment in die Annalen der Klimapolitik, ja der Weltgeschichte zur Rettung des Klimas eingehen soll, haben ihre Rollkoffer bereits gepackt und ausgecheckt. Die Verhandlergruppen aber bleiben noch vor Ort. Noch ist nichts beschlossen. Der Gastgeber in Person von Frankreichs Präsident Francois Hollande kommt zur Konferenz, der Sozialist im Krieg will ein Zeichen setzen.

Den anwesenden MinisterInnen wurde ein über Nacht neu ausgearbeiteter Entwurf zum Mittagessen vorgelegt. Vielleicht gibt es sogar eine Verlängerung bis Sonntag, kolportieren derweil französische Medien. Wir Abgeordneten vor Ort hatten das letzte Papier erst einmal nicht zu Gesicht bekommen – auf der Zielgeraden wird der Klimapoker hinter verschlossenen Türen ausgespielt. Gegen Mittag sickert dann durch, dass es einen Abschlussentwurf gäbe. Der muss jetzt durch das Plenum, das öffentlich ist, im Netz auf der Webseite des UN-Klimabüros übertragen wird. Losgehen soll es um 21 Uhr, live. Herrscht Einigkeit, der erste Weltklimavertrag für alle 195 Staaten wäre unter Dach und Fach.

Ich fahre in die Innenstadt. Am Arc de Triomphe haben KlimaaktivistInnen zu einer Klimademonstration aufgerufen. Aus allen Seitenstraßen strömen Menschen mit roten Schals, roten Schirmen, roten Kleidern auf die Avenue de la Grande Armée. »Was wir wollen? Klimagerechtigkeit!«, schallt es aus tausenden Mündern. Viele junge Leute sind hier, eine bunte Demo. Eigentlich gilt der Ausnahmezustand. Doch keiner schert sich um das Demoverbot. Dafür ist das Anliegen zu Ernst. Vom Weltklimavertrag wollen sie sich nicht blenden lassen. Allen ist klar: Das Papier wird nicht reichen, um die Erderwärmung auf 1,5 oder weniger als 2 Grad Celsius zu begrenzen. »Wir wollen einen Systemwandel, keinen Klimawandel«, steht auf einem der vielen Plakate. Eisbären warnen vorm Abschmelzen der Pole. Ein rotes Band wird ausgerollt, darunter tausende Menschen, die den Stoff über ihre Köpfe in den Himmel halten. Es gibt rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Das ist die Botschaft.

Nicht demonstrieren kann K. Ich treffe den Klimaaktivisten gestern Abend. In einem entlegenen Stadtteil, außerhalb des Zentrum, im Süden der Millionenstadt. Über viele Telefonate, E-Mails und persönliche Vortreffen habe ich sein Vertrauen. Seinen Namen kann ich nicht nennen. K. gehört zu den über 20 AktivistInnen, denen im Zuge des Ausnahmezustandes nach den Terroranschlägen Hausarrest erteilt wurde. Es sei zu erwarten, dass der junge Mann die Klimakonferenz sabotieren wolle. Schwer bewaffnete Polizisten hatten ihn zu Hause überrascht, und die Anordnung des Innenministeriums überreicht. Ich begleite ihn in Richtung Polizeistation, wo er mehrmals täglich eine Unterschrift leisten muss. Vor zwei Stunden stand der über 25 Jahre alte Pariser vorm Conseil d´État, eine Mischung aus Bundesverwaltungsgericht und Innenministerium. Die Richter prüfen, ob Menschenrechte und Grundrechte nur aufgrund eines Verdachtsmoments beschnitten werden können. »Das kam mir vor wie im Ancien Régime, der ganze Prunk, die Richterroben, und ich ganz klein unten«, erzählt K.

K. ist aktiver Hausbesetzer. Organisiert Demo-Camps, gegen Atommüll-Endlager, gegen Kohle, für saubere Energien, Umweltschutz und eine gerechtere Gesellschaft. Der Geheimdienst Frankreichs hat den Richtern Dossiers und Akten über seine Aktivitäten der letzten Jahre vorgelegt. Mit wem er sich trifft, auf welchen Demonstrationen er geht, wohin er reist, wie er lebt, die Dienste wissen fast alles. Das Klima der Überwachung ist erschreckend. Beweise für Gesetzesverstöße gegen K.: Keine. Verstößt K. gegen den Hausarrest, was mehr ein Ortsarrest in seinem Stadtteil ist, oder geht nach 20 Uhr nach Hause, muss er für drei Jahre ins Gefängnis. Es droht eine Geldstrafe von über 45.000 Euro. »Ich fühle mich wie in Russland«, sagt er beim Essen. Und zeigt uns im Internet ein Gesetzesvorhaben der Regierung, »Verdächtige«, welche als »Gefahr für die öffentliche Ordnung« gelten, in Internierungslager zu stecken. Nach Auslaufen der Zwangsmaßnahme will er weiter politisch aktiv sein. Ich erinnere mich an Zeiten hier in der Bundesrepublik, als auch bei uns Notstandsgesetze beschlossen wurden. Die Beschneidung der Grundrechte, sie darf in keinem Land der Welt geduldet werden.

Nach der Demo wieder quer durch Paris, zurück ins Hotel. Auf meinem Handy trudelt der letzte Vertragsentwurf ein. Das Zwei-Grad-Ziel war gesetzt. Neu ist die Ankündigung, die Erderwärmung möglichst auch unter 1,5 Grad zu begrenzen. Der Weg dahin, zu einer globalen Energiewende, ist nicht beschrieben. Freiwilligkeit statt Verpflichtung ist das neue Paradigma der internationalen Klimapolitik. Ich bezweifle, ob sich die Wirtschaft ohne Rahmenvorgaben in eine nachhaltige Richtung drücken lässt. Noch sind die Profite mit den schmutzigen Fossilen zu groß. Zu viel wird noch verdient mit Billig-Airlines nach Mallorca, dem Zweitwagen fürs schnelle Shoppen in der Innenstadt, dem Hamburger für einen Euro. Der Vertrag, wie auch immer die Details aussehen, hat den Charakter einer Selbstverpflichtungserklärung. Auch wenn der Gipfel als Schlusskonferenz bezeichnet wird, Klimagerechtigkeit ist Handarbeit, im Parlament und auf der Straße.

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