Teddy Thälmann lebt!

Freundeskreis der Gedenkstätte Ziegenhals zeigt Ausstellung nun bald in Berlin

Die Exponate sind fertig arrangiert, in etwa so, wie sie auch im brandenburgischen Ziegenhals gestanden haben. Im April wird die Thälmann-Ausstellung in Berlin-Neukölln wiedereröffnet.

Ein kleines Mädchen klebt geradezu mit der Nase an der Schaufensterscheibe und staunt die Modepuppe mit einer Uniform des Rotfrontkämpferbundes an. Die junge Mutter möchte weitergehen, lässt der Tochter aber Zeit, wartet lächelnd. Die Mutter trägt Kopftuch. Er ist die Jonasstraße 29 im Norden von Berlin-Neukölln, eine inzwischen schon lange multikulturell und dabei muslimisch geprägte Gegend, in der viele arme Menschen leben, außerdem ein traditioneller Arbeiterbezirk.

Der Kiez ist, wie er ist, mit Graffitis an den Fassaden und Hundekot auf dem Gehweg. Doch obwohl einige ältere Mitstreiter ein bisschen die Nase rümpfen - im Grunde, so findet Max Renkl, sei dies im Moment und künftig vielleicht gerade der richtige Ort für die Dauerausstellung aus der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals. Renkl ist Vorsitzender des Freundeskreises der Gedenkstätte.

Immerhin: Viele berühmte Bilder Ernst Thälmanns hängen in der Ausstellung, darunter das aus DDR-Geschichtslehrbüchern vertraute Foto, das ihn beim Rundgang in der Haftanstalt Berlin-Moabit zeigt. Oder die letzte bekannte Aufnahme: Thälmann liest im Gefängnis mit aufgestützten Armen eine Zeitung. Abgelichtet wurde der KPD-Vorsitzende jedoch auch, wie er am 28. Juli 1932 in einem Neuköllner Stadion vor einer riesigen Menschenmenge bei einer Kundgebung redete. Dieses Foto hat der Freundeskreis der alten Ausstellung nicht etwa hinzugefügt, als sie nach Neukölln gekommen ist. Dieses Foto war zufällig bereits in der Ziegenhalser Gedenkstätte zu sehen.

Eigentlich gehören die Exponate an ihren angestammten Platz, an den authentischen Ort. In einem Hinterzimmer der Gastwirtschaft »Sporthaus Ziegenhals« hatte Ernst Thälmann, genannt Teddy, am 7. Februar 1933 seine letzte bekannte Rede gehalten - vor Mitgliedern des Zentralkomitees und weiteren Parteifunktionären. Es war ein bedeutender Moment für die damals schon illegal operierende KPD und den antifaschistischen Widerstand. Wenige Wochen später wurde Thälmann verhaltet und 1944 im KZ Buchenwald ermordet. Darüber informiert die Ausstellung. Das inzwischen marode Sporthaus ist in den 1950er Jahren abgetragen worden. Dabei blieb jedoch das Tagungszimmer erhalten, und rund herum wurde eine Gedenkstätte gebaut. In einem extra Raum neben dem Zimmer befand sich jahrzehntelang die Ausstellung. Doch 2002 ersteigerte Gerd Gröger, damals ein hoher Beamter im brandenburgischen Bauministerium, das Wassergrundstück für 86 000 Euro von der Treuhandfirma TLG. So günstig erhielt er es nur, weil der Zuschlag unter der Bedingung erfolgte, die Gedenkstätte zu erhalten. Eine zum 1. August 2004 in Kraft getretene Gesetzesänderung erlaubte dem in Denkmalschutzfragen bewanderten Gröger dann aber den Abriss, was den Wert des Grundstücks vervielfachte. 2010 fiel die Gedenkstätte. An ihrer Stelle entstanden Doppelhäuser und Eigentumswohnungen. Am Ende erreichte Gröger seine Ziele, auch wenn Gegenwehr seinen Sieg lange hinausgezögert hatte.

Vollständig ist die Niederlage des Freundeskreises der Thälmann-Gedenkstätte jedoch nicht. »Thälmann ist niemals gefallen«, heißt es in einem alten Kampflied, das die Standhaftigkeit des KPD-Vorsitzenden rühmt. Mit Blick auf die Ausstellung, die nun endlich wieder zu sehen ist, ließe sich behaupten: »Teddy lebt!« Denn sein Andenken kann in der Jonasstraße wach gehalten werden.

Der Freundeskreis musste um die Exponate kämpfen, bekam sie aber schließlich, teils auf Umwegen, ausgehändigt. Pläne, die Stücke in Niederlehme oder bei Strausberg zu präsentieren, zerschlugen sich. Aber nun kann die Dauerausstellung in Berlin-Neukölln gezeigt werden. Im April 2016, zum 130. Geburtstag des KPD-Vorsitzenden, soll sie offiziell wiedereröffnet werden. Noch sind einige Restarbeiten zu erledigen. Der Freundeskreis muss noch die kleinen Lampen anbringen, mit denen er die Schaukästen anstrahlen will. Auch den Holzfußboden möchte Renkl aufpoliert haben.

Aber ansonsten ist das Arrangement fertig. Die Ausstellung ist fast unverändert. Dazu hat sich der Freundeskreis ganz bewusst entschieden. Dies ist ein symbolischer Triumph über Gerd Gröger und alle, die Gröger vielleicht hätten stoppen können, das aber gar nicht erst versucht haben. So ist die bereits zu DDR-Zeiten konzipierte Geschichtsausstellung selbst als ein historisches Zeugnis zu erleben. Der Freundeskreis wollte auch gar nichts aktualisieren. Er sei an Geschichte interessiert, aber gelernter Industriemechaniker und kein Wissenschaftler, sagt Renkl über sich selbst und rechtfertigt so die Vorgehensweise. Es sei aber geplant, berichtet der 40-Jährige, eine Begleitbroschüre zu erstellen. Die ist schon weit gediehen und soll im Laufe des Jahres 2016 in Druck gehen. Außerdem sollen Zusatzinformationen an eine Wand projiziert werden. Das sei notwendig, erläutert Renkl, weil die Besucher der Gedenkstätte zu DDR-Zeiten - Pioniere, FDJler und Arbeitskollektive - Grundkenntnisse über die legendäre ZK-Tagung von Ziegenhals aus der Schule mitbrachten. Diese Wissen könne bei vielen Menschen heute nicht mehr vorausgesetzt werden, bedauert Renkl.

Der Raum in der Jonasstraße ist in etwa so groß wie das alte Gedenkzimmer in Ziegenhals, sogar ein klein wenig größer. Das erleichterte die Einrichtung. Für die Porträts und Biografien aller Tagungsteilnehmer, die früher im originalen Versammlungsraum hingen, war leider dennoch kein Platz. Sie finden sich jetzt als Kopien in einer Mappe ausgelegt.

Drei Thälmann-Büsten gehören zur Ausstattung, darunter ein Gipsmodell, dass der sowjetische Bildhauer Lew Kerbel anfertigte - als Studie für sein monumentales Thälmann-Denkmal in Berlin-Prenzlauer Berg. Original aus dem alten Sporthaus Ziegenhals seien die drei massiven Holzstühle, versichert Renkl, wenngleich nicht belegt sei, ob Tagungsteilnehmer darauf gesessen haben. Denn vielleicht stammen die Stühle auch aus dem großen Saal der Gastwirtschaft. Original sind außerdem Mütze, Koppel und Beinschienen der Uniform eines Rotfrontkämpfers. Jacke und Hose, die schon etwas lädiert sind, haben aber der Modepuppe nicht gepasst. »Ein iranischer Genosse hat uns die für Lau nachgeschneidert«, freut sich Renkl. Mieter des Ladenlokals, das schon lange als Treffpunkt verschiedener linker Gruppen dient, ist eine deutsch-chilenische Freundschaftsgesellschaft. Hier fand die Thälmann-Ausstellung Unterschlupf.

Das kleine muslimische Mädchen und seine Mutter sind inzwischen längst weitergezogen. Doch vielleicht sind sie neugierig geworden, und schauen herein, wenn die Ausstellung eröffnet ist. Besichtigungen sind per E-Mail zu vereinbaren. Der Freundeskreis bittet allerdings, sich mit Terminen bis zum April zu gedulden. Der Eintritt ist frei, es wird jedoch um eine Spende gebeten.

vorstand@etg-ziegenhals.de

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