Ein krimtatarischer Provokateur

Mustafa Dschemilew blockiert seine Krim. Von Denis Trubetskoy, Kiew

  • Lesedauer: 4 Min.

Mitten in der Krim-Krise flog am 12. März 2014 Mustafa Dschemilew zum ersten Mal seit vielen Jahren nach Moskau, um mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Dschemilew, bis 2013 Anführer der krimtatarischen Versammlung Medschlis und Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, lehnte die Annexion der Krim kategorisch ab. Putin wollte mit der Symbolfigur Klartext reden. »Er bestritt nicht, dass russische Streitkräfte auf der Krim aktiv sind, und er sagte deutlich, dass Russland von seiner Linie nicht abgeht«, wird Dschemilew später berichten. Angeblich wurde er zehn Tage vor Beginn der Krim-Krise vom Präsidenten zum Dialog über die Zukunft der Halbinsel eingeladen. Der langjährige Medschlis-Anführer lehnte ab. »Sie sind ein starker Mann mit klarer Haltung. Aber wir müssen gemeinsam ein Blutvergießen verhindern«, soll ihm Putin gesagt haben.

Gut einen Monat später wurde über Dschemilew, der sich gerade ihn der Türkei befand, ein Einreiseverbot in die Russische Föderation für fünf Jahre verhängt. Zuerst behauptete die russische Migrationsbehörde FMS, sie hätte nichts mit diesem Vorfall zu tun. Doch als Dschemilew im Mai über Moskau auf die Krim fliegen wollte, wurde er von russischen Grenzpolizisten nicht durchgelassen. Sein Versuch, die Krim über den Grenzpunkt Armjansk zu erreichen, scheiterte. Monate später folgte eine Einreisesperre für den amtierenden Medschlis-Anführer Refat Tschubarow.

Nun ist der 72-jährige Mustafa Dschemilew, auch als namhafter Dissident in Sowjetzeiten bekannt, einer der wichtigsten Anführer der »zivilen Blockade der Krim« seit Ende September an allen drei Grenzübergängen zwischen der Krim und dem ukrainischen Festland. Die Aktion sehen auch viele Krimtataren auf der Halbinsel kritisch. Das bestreitet Dschemilew: »Über 90 Prozent der Krimtataren unterstützen unsere Blockade-Aktion. Wir sind die einzige wirklich proukrainische Kraft auf der Krim«, sagte der Abgeordnete der Präsidentenfraktion »Block Poroschenko« im ukrainischen Parlament.

»Wir sind die Einzigen, die wirklich etwas für die Rückkehr der Krim in die Ukraine tun. Natürlich gibt es auch Ukrainer und Russen, die uns unterstützen, doch sie unternehmen nichts«, rechtfertigt Dschemilew seine umstrittene Aktion. Sie wurde international eher negativ wahrgenommen. Vor allem die Teilnahme der rechtsradikalen Bataillone »Rechter Sektor« und »Asow« sorgte für Kritik - wie auch die Sprengung von Strommasten, über die die Krim mit Energie versorgt wird.

»Ich weiß nicht, ob sie gesprengt wurden. Vielleicht war nur der starke Wind daran schuld«, deutete Dschemilew den Auslöser der »Energieblockade« als »zweite Stufe« der gesamten Aktion. Wochen später ließen die Aktivisten zu, dass die kleinste Stromleitung auf die Krim repariert werden konnte. Mit Beginn der »Energieblockade« erhöhte sich auch die Zahl der Durchsuchungen von Wohnungen und Festnahmen von Krimtataren durch die russische Sicherheitsbehörde FSB. Die Blockierer forderten aber vor allem die Verbesserung der Menschenrechtssituation auf der Halbinsel.

Das scheint Mustafa Dschemilew vergessen zu haben. »Sie werden wohl bald die Medschlis auf der Krim verbieten. So könnte jeder, der irgendeine Beziehung zu ihr hatte, strafrechtlich verfolgt werden. Aber die Menschen sind dazu bereit. Krieg ist Krieg«, betonte er als Präsidentenbeauftragter für die Angelegenheiten des krimtatarischen Volkes. Später klagte er, diese Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen.

Dschemilew ist seit jungen Jahren ein Mann, der provoziert, polarisiert. Seine Biografie ist widersprüchlich und kompliziert. Er wurde 1943 auf der Krim geboren, 1944 mit der Familie nach Usbekistan deportiert. Dschemilew studierte in Taschkent - und flog von der Universität wegen »Nationalismus«. 1966 wurde er einberufen, wollte aber nicht in der Roten Armee dienen - und bekam seine erste Haftstrafe von 18 Monaten.

Es folgten vier Festnahmen, die in erster Linie mit Dschemilews Aktivitäten als Menschenrechtler zu tun hatten, und ein vergeblicher Versuch, auf die Krim zurückzukehren. Das gelang Dschemilews Familie 1989 - und sofort wurde er in der krimtatarischen Gemeinde aktiv. Von 1991 bis 2013 führte Dschemilew die Medschlis an und unterstützte vor allem die proukrainischen Parteien auf nationaler Ebene. So warb die Medschlis während der Orange Revolution 2004 für den Oppositionskandidaten Wiktor Juschtschenko.

Trotz seiner Kiew-Freundlichkeit erkannten Dschemilew und die Medschlis niemals die Autonome Republik Krim innerhalb der Ukraine an. Sie forderten eine nationale Autonomie. Für diese Idee, die nun in Kiew auf viel mehr Begeisterung trifft, wirbt Dschemilew auch jetzt. Dschemilew profitiert von seiner radikalen Haltung und wird wohl bei Verhandlungen über einen Energievertrag für die Krim eine große Rolle spielen.

Gleichzeitig sitzt sein Sohn Hajser seit dem Sommer im Gefängnis. Er hat »aus Versehen« einen Freund erschossen und wird fünf Jahre in russischer Haft verbringen, obwohl er 2013 von ukrainischen Behörden festgenommen wurde. Polarisierender könnte die Geschichte einer Familie kaum sein.

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