Silvester in Berlin

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 3 Min.

Zugegeben, es war mein erstes Silvester in Berlin. Zugegeben auch, ich mag Silvester nicht. Und nochmals zugegeben, die Jahreswechselparty stand von Anfang an unter keinen guten Vorzeichen. Da war der schwelende Streit meines Freundes mit seiner Freundin; die Streitereien zwischen ihr und ihrer besten Freundin - und das Verhältnis der drei zueinander, das ich nie ganz verstanden habe.

Sie war eifersüchtig auf ihn, weil er und die andere sich gemeinsam über den »Heiße-Liebe«-Tee im Supermarkt amüsierten. Aber mehr noch war sie eifersüchtig auf sie, weil sie sich so gut mit ihm verstand, er doch aber eigentlich nur Augen für sie haben sollte. Und sowieso: Könnten die beste Freundin und der Freund etwa auch ohne sie …?

Die drei waren zu Besuch in der großen Stadt, aber schon einen Tag nach der Ankunft - und noch drei Tage vor Silvester - haben sie schon überlegt, ob es nicht besser wäre, wieder abzureisen. Ich verstand nicht mal die Hälfte ihrer Probleme und nach den Erklärungsversuchen meines Freundes noch viel weniger. Er und ich verbrachten einen gemeinsamen Tag im Freien, die beiden Anderen zu zweit in der Wohnung. Uns ging es gut, auch bei ihnen schien alles zu funktionieren. Blöd bloß, als wir dann wieder zu viert waren.

Aber wir beschlossen, uns zusammenzureißen und freuten uns auf einen Abend mit viel Essen und Spielen und dem bestimmt aufregenden Kriegsschauplatz Großstadt an Silvester. Aber sie (die Freundin der Freundin) wollte dann doch nicht spielen, was sie (die Freundin) nicht verstand und was zu Streit zwischen meinem Freund und seiner Freundin führte.

Ihre Freundin hatte dann auch genug, und legte sich um halb zwölf schlafen - sie mag Silvester auch nicht besonders. Die Freundin war dann natürlich beleidigt, was sie an ihrem Freund ausließ, der die Welt nicht mehr verstand. Kurz vor zwölf wagten wir uns auf die Straße. Meine Kriegsschauplatzfantasien bewahrheiteten sich: Der Höhepunkt war ein Vietnamese, der mitten auf einer Kreuzung eine zwei Meter lange Kette von Böllern der größten Kategorie wie ein Lasso über seinem Kopf schwenkte, wobei einer nach dem anderen explodierte. Ein sehr betrunkener Passant wollte die Darbietung gar noch verfeinern, indem er ganz sicher ganz illlegale, riesengroß explodierende Kracher (die Feuerkugel hatte bestimmt einen halben Meter Durchmesser) zwischen die Beine des böllerlassoschwingenden Vietnamesen schmiss. Dessen Frau stürzte sich auf den Betrunkenen und ein Redeschwall und Gekreische übertönten alles Rumgeballere.

Als es zwölf war, hatten sich mein Freund und seine Freundin wieder miteinander versöhnt. Einem dreiminütigen Kuss folgte ein vierminütiges gemeinsames Anzünden einer Neujahrsrakete - mich hatten sie vergessen, und da die beste Freundin schon schlief, sprach ich die ersten zehn Minuten des neuen Jahres kein Wort.

Also habe ich beschlossen, nächstes Jahr alleine zu feiern. Alleine im Wald, oder an der Ostsee. Ganz sicher nicht wieder in Berlin.

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