Lidderweis!

Stimmen Bayerns

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Wie stellt sich ein der Region Unkundiger Bayern vor? Was weiß man über dieses sonderbare, tintenfleckförmige und in kulturellen Fragen traditionell etwas zurückgebliebene Land? Wenig. Man weiß, dass seine Bevölkerung seit Jahrzehnten von einer eingeschworenen Sekte christlicher Fundamentalisten regiert wird, deren drolliges Alltagsverhalten (mit 15 Liter Bier im Körper Autobahn fahren, in fein abgestuften Grunzlauten kommunizieren, im Zusammenhang mit dunkelhäutigen Entertainern von »wunderbaren Negern« sprechen) von der Bevölkerung wahlweise geduldet oder bejubelt wird. Man weiß von grünen Auen und rotgesichtigen Barbaren, täppischen Volkstänzen und freimütig praktizierter Korruption, von Laptops und Lederhosen und dem zweitschlimmsten Dialekt nach dem Sächsischen (was zwangsläufig zum wiederholten Mal die Frage aufwirft, ob geistig-politische Rückständigkeit und ein grauenhafter Dialekt nicht ursächlich zusammenhängen). Wie dem auch sei. Man könnte jedenfalls sagen, dass in Bayern der Irrsinn so etwas wie der Normalzustand ist.

Bayern hat aber auch - möglicherweise gerade wegen seines repressiven politischen Klimas - eine radikale Gegenkultur hervorgebracht: etwa das dem Anarchistischen und Skurrilen zuneigende Komikerduo Karl Valentin und Liesl Karlstadt, den jungen Herbert Achternbusch, den unvergleichlichen Gerhard Polt und die Biermöslblosn, den Songschreiber Hans Söllner, um hier nur einige zu nennen. Gemeinsam ist den Genannten eine gesunde Skepsis gegenüber Ämtern, Behörden und dem Staat und ein Bekenntnis zu Lebensgenuss und Rausch (erzeugt bevorzugt durch Bierkonsum). Dem staatsoffiziellen und notorischen Provinz-, und Verordnungsirrsinn wurde und wird bis heute von solchen Künstlern also eine Art frei flottierender Alltags- und Alltagsbewältungsirrsinn entgegengesetzt.

Da passt es natürlich, dass die wunderbar irrsinnige bayrische Plattenfirma Trikont ausgewählte Stücke einer Hand voll dieser Gegenkünstlerinnen und -künstler (darunter auch die oben genannten Valentin und Karlstadt und Hans Söllner) auf einer CD versammelt. Nora Gomringer etwa gibt in lyrischer Form, vorgetragen in lupenreinem Fränkisch, Auskunft über den Volksstamm der Bamberger, der dem Vernehmen nach nicht nur unberechenbar sei (»Die Leid sin all a weng eichn und a weng erradisch / Was von errodisch weid wech is«), sondern dem auch ein bacchantischer Charakter von geradezu Peeperkornschem Ausmaß zugeschrieben wird: »Römisch-kaddholische Schdimmung« stellt sich vor allem dann wie automatisch her, »wenns dringgn un dringgn wie die Kamele / Lidderweis gehd da nei, was schbäder widder naus muss«. Folgerichtig heißt diese Compilation »Der Irrsinn«.

Verschiedene Künstler: »Stimmen Bayerns / Der Irrsinn« (Trikont)

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