So kaputt ist die Welt

In Dessau inszenierte Rebekka Stanzel Verdis blutrünstigen »Troubadour«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter den Opern von Giuseppe Verdi nimmt der »Troubadour« ungefähr den Platz ein, den »Titus Andronicus« unter den Dramen Shakespeares hat. Blutrünstiger geht es kaum. Bei Verdi geistert eine Frau durchs Stück, die man heute Roma oder Sinti nennen würde, deren Mutter bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, weil sie ein aufgeputschter Mob für eine Hexe hielt. Sie muss damit leben, dass sie in blinder Wut ihr eigenes Kind ins Feuer warf, das sie für den Sohn des Obersten der Mörder hielt. Immerhin zog sie dessen Sohn dann an Stelle des eigenen Kindes auf.

Verglichen damit ist das, was dann auf der Bühne passiert, fast schon harmlos. Da kloppen sich nämlich wie so oft in der Oper der Bariton (Graf Luna) und der Tenor (Manrico) um den Sopran (Leonora). Das ist mit erheblichem Waffenlärm verbunden, weil der Krieg der Normalzustand ist. Der Mezzo (Azucena) steuert die Vorgeschichte der Zigeunerin bei, Leonora wiederum eine Beinahe-Flucht ins Nonnendasein und schließlich so etwas wie einen Ehren-Selbstmord. Sie will sich dem Fiesling Luna hingeben, damit der ihren Liebsten Manrico laufen lässt, bringt sich aber lieber selbst um. Punktgenau, nachdem Luna Manrico umgebracht hat, lässt Azucena die Katze aus dem Sack, dass die beiden eigentlich Brüder sind. Eine Schlusspointe, die allen klar macht, wie absurd das Ganze ist.

Musikalisch zündet Verdi dabei dennoch (oder auch deswegen) einen Knaller nach dem anderen, was bei der Anhaltischen Philharmonie und Wolfgang Kluge in bewährten Händen liegt. So wie der Kapellmeister des Verdi-affinen Orchesters zur Sache geht, ist das mitreißend. Dazu bietet das Haus das erstklassige Quartett auf, das man für diesen Reißer braucht. Ulf Paulsen verkörpert mit vollem Einsatz den finsteren Grafen Luna. Iordanka Derilova ist mit hochdramatischer Emphase jene Leonora, um deren Gunst Luna mit Manrico konkurriert. Der ist in der sicher strahlenden Kehle des italienischen Gastes Leonardo Gramegna bestens aufgehoben.

Der eigentliche Clou der Besetzung ist aber Rita Kapfhammer als Azucena. Auf diesem vokalen und gestalterischen Niveau ist diese Rolle auch an größeren Häusern selten zu erleben. Wobei in ihrem Falle die Personenregie von Rebekka Stanzel greift und ihr erlaubt, das Trauma ihrer Lebensgeschichte tatsächlich zu spielen. So gut haben es die anderen nicht. Die kommen nur selten mal über eine konventionelle Operngeste und Herumstehen hinaus. Die übrige Truppe touchiert gelegentlich sogar die Parodie des Militärischen.

Das beste am szenischen Konzept ist noch das Bühnenbild von Ausstatter von Markus Psyall. Es ist ein düsterer Raum mit wuchtigen, aber verschiebbaren Wänden. Dazwischen deutet ein Haufen Autoreifen einen Scheiterhaufen oder bei Bedarf auch den Klosteraltar an, wenn der für die Szene gebraucht wird. Am Ende steht Leonora ganz in Weiß und als entrückte Utopie im Hintergrund, während zu ihren Füßen Graf Luna seinem Bruder Manrico die Kehle durchschneidet und Azucena über diesen Brudermord triumphiert. Als ob sie davon wirklich was hätte.

Aber so kaputt ist halt die Welt. Im Falle Verdi darf man am Ende dennoch jubeln.

Nächste Vorstellung: 31. Januar

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