Shakespeares Gesänge

Anna Prohaska mit einem Shakespeare-Programm im Konzerthaus Berlin

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

»O let me weep«. Atemlos der Raum, als das Klagelied aus Henry Purcells Oper »The Fairy Queen« nach Shakespeares »Sommernachtstraum« erklang. Anna Prohaska, begleitet von Musikerinnen und Musikern der Akademie für Alte Musik, sang dies auf Wellen von Tränen fließende Lied ganz geradlinig, zärtlich und innig, und das Publikum war hingerissen. Violine, Viola und Laute begleiten ihrerseits klagend den melodischen Gang. Bald tritt die Bassgeige hinzu, dann das Cembalo. Eine tief liegende neuronale Schichten berührende Komposition. Die Oper entstand drei Jahre vor dem Tode des Komponisten. Er starb mit gerade einmal 36 Jahren 1695 in London.

Im Großen Saal des Konzerthauses vereinigten sich an diesem Abend mit Anna Prohaska im Mittelpunkt mehrere Stränge wertvollster Tradition: Erstens die des großen Briten Shakespeares, dessen Verskunst nicht nur Bühnen, sondern auch Komponisten und Musiker ungebrochen in Atem hält (z. B. schrieb Aribert Reimann »Drei Sonette« nach Shakespeare und die Oper »Lear«). Zweitens die Tradition der großen englischen Musik um Henry Purcell, dessen Werk sich nicht nur Ensembles Alter Musik widmen, sondern auch Komponisten wie Helmut Oehring (»Aschemond oder The Fairy Queen«, Oper unter Verwendung von Musiken Henry Purcells) und manch andere zu Schöpfungen inspiriert hat, worin Neues und Altes sich wechselseitig spiegeln. Schließlich jene Tradition großer Gesangskunst, in der sich die berühmte Koloratursopranistin Anna Prohaska aufs Lebendigste bewegt. Soviel »Großes« auf einmal - man mag es belächeln. Allein, diese Bezeichnung erlaubt kein Hinauf und schon gar kein Hinab. Sie stimmt um so mehr, je mehr öffentliche und private Hände an solcher Kultur sich vergehen und sie zu dezimieren, ja zu beseitigen trachten. Das weitere Orchestersterben hierzulande ist nur ein Beleg hierfür.

Darum, solche Abende, wie dieser, rücken die Dinge ins rechte Licht. Sie sagen neben der hohen Kunstleistung, die vernehmlich wird: Hier stehen wir, die Akademie für Alte Musik und ich, Anna Prohaska, wir bieten, wo immer wir auftreten, bedeutende Kunst dem Publikum und erlauben es nicht, ihren Rang von Banausen aus der Amts- und Geschäftswelt herunterziehen zu lassen.

Shakespeare und die Musik. Ein unendliches Thema. Der Universalpoet plante zu seiner Zeit selber ungezählte parlierende Musiknummern - Sprechchöre, Sologesänge, Gesänge zur Laute, instrumentale Zwischenmusiken für seine Aufführungen etwa im Londoner Globe Theatre - und realisierte sie. Wie das Material wirklich geklungen haben mag, wird unklar bleiben. Nach dem Tod des Dichters gingen vornehmlich englische Meister mit seinem Erbe um. Beispiele ihrer Musik bildeten das Zentrum des Prohaska-Abends.

Schon länger interessiert sich die Sängerin - sie studierte an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« Berlin und ist Mitglied des Solistenensembles der Staatsoper Berlin - für konzeptionelle Programme oder Programmmischungen. Shakespeare bot sich förmlich an. Anna Prohaska, geboren 1983 in Neu-Ulm, ist internationaler Herkunft. Ihr Vater, Österreicher, kommt aus der Opernregie, ihre Mutter, Sängerin, hat irische und englische Vorfahren. Was lag näher, sich Shakespeare zu widmen - unter dem Motto: »Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,/ spielt weiter!/ Gebt mir volles Maß!« (aus »Was ihr wollt«).

Keine Serie von Liedern und Arien spulte ab, wie das üblich ist. Prohaska sang, rezitierte Texte deutsch und englisch, wandelte in schneeweißem Kleid über die Bühne, verließ sie, schöpfte Atem, kam wieder, ließ viel Raum der Akademie für Alte Musik, die mehrere Suiten Purcells, sodann unbekannte Stücke seiner zwei Kompositionslehrer Matthew Locke und John Blow mit und ohne Gesang makellos aufführte. Ein Wunder das zur Laute gesungene Lied John Dowlands »Come again, sweet love«. Attacca schloss sich die Ouvertüre mit Trommelschlag der Purcell-Suite »The Gordian Knot Unitied« an. Tagklar, senza vibrato gab die Sängerin Purcells Piece »Music for a while« wieder, der zu lauschen wie vieles andere auch die Sinne schmelzen ließ. Shakespeares Dichtung birgt ein Kontinuum lebendiger menschlicher Beziehungen, das nicht verwelkt. Konflikte spiegeln sich in ihr, als rumorten sie in und zwischen den heute Lebenden. Der Abend indes lud vielmehr dazu ein, jenen in Musik ausdrückbaren Empfindungen und Genüssen der Verse näher zu rücken, die hörbar zu machen die menschliche Stimme das vielleicht kostbarste Medium ist.

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