«Nicht mehr allzu lang»

Die niedrigen Milchpreise empfinden auch Sachsens Bauern als Erpressung - einfach aussteigen geht jedoch nicht

  • Christiane Raatz, 
Großerkmannsdorf
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Preis für Milch fällt und fällt - und ein Ende ist nicht in Sicht. Erste Betriebe in Sachsen geben auf. Wie steht es um die Milchbauern? Ein Besuch im Freistaat.

Auf die Frage, wie lange er noch durchhält, antwortet Steffen Gröber nicht sofort. «Nicht mehr allzu lang», sagt der Landwirt schließlich zögernd und verschränkt die Hände. Der 61-Jährige ist Geschäftsführer des Landwirtschaftsbetriebs «An der Dresdner Heide» in Großerkmannsdorf, wenige Kilometer von Dresden entfernt. Jammern ist nicht sein Ding, der Bauer packt lieber zu - und die Probleme an. Aber die jetzige Situation macht ihm und seinem Betrieb mit mehr als 50 Beschäftigten zu schaffen.

Seit mehr als einem Jahr sind die Preise für Milch im Keller, bundesweit klagen die Landwirte über herbe Verluste. Um einen Liter herzustellen, braucht ein Betrieb etwa 35 Cent. Derzeit bekommen die Milchbauern aber nur zwischen 25 und 26 Cent. Gröber gehört mit seinem Betrieb zu den größeren in Sachsen; in den Ställen hinter dem Bürogebäude stehen rund 1000 Milchkühe. Er räumt ein: «Es gibt sicherlich modernere Ställe.»

Der Verkauf von Milch macht mit 65 Prozent das Hauptgeschäft aus. Das aber wackelt zunehmend. Der Preisverfall hat laut Gröber im vergangenen Jahr zu einem Umsatzverlust von fast 30 Prozent im Milchbereich geführt. «Das sind am Tag 2250 Euro pro Tag, die uns an Milchgeld fehlen - bei 28 000 Litern, die wir täglich abliefern.» Auf ein Jahr hochgerechnet ist das ein Minus von 820 000 Euro. «Das ist schon eine Größe».« In dem rosafarbenen Melkhaus drehen sich die Kühe langsam im Kreis. Geduldig stehen sie im Melkkarussell, bis ihre Milch abgezapft ist. Manche werden bis zu dreimal am Tag gemolken.

In der Öffentlichkeit würden die Probleme der Milchbauern nicht wahrgenommen, klagt Gröber. Viele Landwirte hätten in ihre Betriebe investiert, Ställe ausgebaut und die Bedingungen für die Tiere verbessert. Aber seit dem Wegfall der europäischen Milchquote am 1. April 2015 drücke das große Angebot den Preis. Die Bauern stünden nun vor einem »Investitionsberg«, den sie nicht mehr bewältigen könnten.

Erst vor wenigen Tagen verfassten Sachsens Landwirte einen offenen Brief an Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Darin fordern sie eine Entschädigung für die vergangenen 15 Monate und führen als Gründe die Verluste auf dem russischen Markt wegen des Embargos an.

»Es kann nicht sein, dass ein politischer Konflikt auf dem Rücken von uns Bauern ausgetragen wird«, heißt es in dem Schreiben. Nach Vorstellung der Landwirte sollte die Entschädigung bei vier Cent pro Liter Milch und 30 Cent je Kilogramm Schweinefleisch liegen.

Das sächsische Landwirtschaftsministerium hält diese Forderung, die europaweit umgesetzt werden müsste, für »nicht finanzierbar«. Es sei zudem schwer nachzuvollziehen, in welcher Höhe die Sanktionen zu Buche schlagen, so ein Sprecher. Dennoch wisse man um die Existenznöte der Bauern wegen der anhaltenden Tiefpreis-Phase. Das Ministerium verwies etwa auf zinsgünstige Darlehen, mit denen Bauern kurzfristig Finanzschwierigkeiten überbrücken könnten.

»Das hilft zwar erstmal, muss aber auch zurückgezahlt werden«, sagt Cindy Gröber, die im väterlichen Betrieb für die Buchhaltung zuständig ist. Der Landwirt Gröber ist froh, dass er neben der Milch noch andere wirtschaftliche Standbeine hat: Im Hofladen verkauft er Fleisch und Wurst aus eigener Schlachtung, er baut Getreide, Weizen und Raps an, und betreibt eine Biogasanlage. Rund 1500 Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaftet der Betrieb. Und dennoch: »Es ist schwer, den Milchbetrieb quer zu subventionieren«, sagt Gröber.

Gern würde der Landwirt noch mehr Biogas produzieren, aber von der Politik vorgegebene Rahmenbedingungen dafür - etwa bei der Lagerung und der Abdeckung von Gülle - erschweren ein solches Vorhaben. Weitere Investitionen wären notwendig. »Und das können wir zur Zeit nicht stemmen.« Die Anlage wird mit knapp 100 Kubikmetern Gülle täglich sowie mit Restfutter aus den Tierkrippen gespeist, nachwachsende Rohstoffe werden dabei nicht verwendet. Die Leistung liegt bei 380 Kilowatt.

Mittlerweile beliefert Gröber auch einen befreundeten Betrieb mit Gülle, der die Milchproduktion wegen des Preisverfalls aufgegeben hat. Diesem fehlt nun Gülle für seine Biogasanlage. »Die Tierproduktion einfach einzustellen ist nicht so einfach für einen Betrieb, das ist ja ein Kreislauf«, erklärt Gröber.

Laut Landesbauernverband haben bis Ende vergangenen Jahres acht Betriebe in Sachsen aus wirtschaftlichen Gründen die Milchproduktion aufgegeben. Insgesamt produzieren etwa 900 Höfe rund 1,6 Millionen Tonnen Milch pro Jahr. Die Milchmenge durch eine neue Quote zu reduzieren, hält der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Manfred Uhlemann, nicht für die Lösung. Auch die Umstellung auf Bio würde den Betrieben langfristig nicht helfen. »Wenn das Angebot steigt, würden die Preise für Biomilch auch wieder einbrechen.« Stattdessen sei es sinnvoll, neue Exportmärkte zu erschließen. Dabei sei auch die Politik gefragt.

Milchbauern kritisieren, dass sie keinen Einfluss auf den Preis haben. »Am Ende des Monats kriegen wir eine Mail, wie hoch im nächsten Monat das Milchgeld ist. Das funktioniert in keiner anderen Branche«, sagt Cindy Gröber. Die meisten Investitionen hat der Landwirtschaftsbetrieb auf Eis gelegt. Eigentlich steht neue Mäh- und Melktechnik an. Mehr Kühe sollen künftig auf Gummimatten statt auf Beton stehen. Doch darauf müssen sie wohl noch warten. Dafür hat Gröber vor zwei Monaten den lange geplanten neuen Stall für die Jungrinder gebaut. Er spricht von einer Flucht nach vorn. dpa/nd

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