Nur wenige Abwanderer kommen zurück

62 000 Männer und Frauen verließen Sachsen-Anhalt zwischen 1999 und 2012 - die meisten blieben im Westen

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Viele Ostdeutsche sahen nach 1989 nur in den alten Bundesländern eine berufliche Perspektive für sich. Nur wenige kehren wieder zurück - auch wenn die Arbeitsmarktlage besser wird.

Halle. Fast 62 000 Männer und Frauen sind zwischen 1999 und dem Jahr 2012 aus Sachsen-Anhalt in eines der westlichen Bundesländer abgewandert. Zurückgekehrt sind im gleichen Zeitraum jedoch nur 8800 Menschen, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Halle mitteilte. Gezählt wurden für die Studie des IAB nur solche Abwanderer und Rückkehrer, die einen sozialversicherungspflichtigen Job hatten. Die stärksten Verluste erlitten die kreisfreien Städte Halle und Dessau-Roßlau sowie der Altmarkkreis Salzwedel. Die meisten Abwanderer zog es ins benachbarte Niedersachsen sowie in die wirtschaftsstarken Länder Bayern und Baden-Württemberg.

Ähnlich ist die Entwicklung in Thüringen: Dort haben zwischen 1999 und 2012 etwa 56 000 Menschen ihre Heimat berufsbedingt verlassen, stellte das IAB fest. Nur etwa 9000 von ihnen kehrten in dieser Zeit zurück. Als Rückkehrer im Sinn der Studie gilt, wer seinen Wohnort in der Vergangenheit aus Thüringen in die alten Bundesländer und dann wieder zurück verlagert hat.

Das IAB hat diese Wanderungsbewegungen erstmals genauer untersucht. »Es waren vor allem die jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die Sachsen-Anhalt verlassen haben«, erläuterte Kay Senius, Chef der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit. In Sachsen-Anhalt sei innerhalb von 15 Jahren seit den 1990ern fast eine Million Arbeitsplätze abgebaut worden. 2003 war dann der Höchststand der Arbeitslosigkeit erreicht, 270 000 Arbeitslose wurden gezählt, die Arbeitslosenquote lag bei über 20 Prozent. So zog es denn 8,9 Prozent derer, die einen regulären Job hatten, in den Westen. Zum Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern waren es 10,6 Prozent, die ihren Koffer packten, in Brandenburg nur 7,5.

Die Rückkehrerquoten betrugen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern jeweils 14,2, in Brandenburg 12,8 Prozent. »Die Rückkehrerquote, auch wenn sie gering erscheint, zeigt, dass sich der Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt positiv entwickelt«, zeigte sich Senius zuversichtlich.

Unter den Rückkehrern seien oft junge Leute, die ihre Ausbildung im Westen gemacht und jetzt in der Heimat einen Job gefunden hätten. Der Ausbau des Chemiestandortes Leuna, aber auch die Ansiedlungen der Autobauer Porsche und BMW im benachbarten Leipzig hätten Fachkräfte gelockt. »Auch der Ausbau der Infrastruktur trägt dazu bei, dass Menschen zurückkehren«, so Senius. Diese würden zwar weiterhin im Westen arbeiten, hätten aber ihren Wohnort wieder im Osten.

Insgesamt sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nach den bisher vorliegenden Zahlen im vergangenen Jahr etwas mehr Menschen nach Sachsen-Anhalt zugezogen als von dort fortgingen. Zuletzt wurden im Mai vergangenen Jahres 766 mehr Zuzügler als Abwanderer gezählt. 2014 war der Wanderungssaldo bei 30 018 Zuzügen und 35 341 Fortzügen mit 5323 noch negativ ausgefallen.

Bei den Erhebungen zu Thüringen wurden ebenfalls jene Menschen nicht erfasst, die als Arbeitslose den Freistaat verließen. Zu der Zeit zwischen der Wende und dem Jahr 1999 gibt es für den Freistaat ebenfalls keine Angaben, weil es an Daten mangelt.

Für die Fachkräftesicherung in Thüringen spiele die Hoffnung, Abgewanderte zur Rückkehr bewegen zu können, ausweislich der Zahlen nur eine sehr ungeordnete Rolle, sagte Arbeitsagenturchef Senius zu der IAB-Studie. Zwar sei jeder Rückkehrer ein gutes politisches Signal. Um ihre Nachfrage nach Fachkräften zu decken, müssten die Unternehmen im Freistaat aber vorwiegend »andere Hebel« bedienen. Als Beispiel nannte er die Ausbildung von jungen Menschen, die Weiterbildung der Beschäftigten und auch Zuwanderer.

Eine Sprecherin des Verbandes der Wirtschaft Thüringens sagte, sie teile die Einschätzung von Senius. Es sei zwar »ein sehr gutes Signal«, dass es überhaupt Menschen gebe, die in den Freistaat zurückkehrten, nachdem sie ihn berufsbedingt verlassen hatten. »Das zeigt, das Thüringen als Wirtschaftsstandort attraktiv ist.« Nötig seien aber verschiedene Maßnahmen, um den Fachkräftebedarf der Betriebe in dem Bundesland zu decken.

Ausweislich der IAB-Studie sind vor allem einst nach Bayern und Hessen ausgewanderte Thüringer in den Freistaat zurückgekehrt. Diese Menschen gingen vor allem in die ländlichen Gebiete im Süden, Westen und Norden des Freistaats. Die Mitte und der Osten des Landes profitierten dagegen kaum von diesen Wanderungsbewegungen. dpa/nd

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