Weißseinsforschung

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Mit dem Aufkommen postkolonialer Studien weitet sich auch das Feld qualitativer Sozialforschung. Zurück gehen diese Studien auf die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelnden Disziplinen Soziologie und Psychologie. Prominente Vertreter der sogenannten verstehenden Soziologie sind Alfred Schütz, Max Weber oder auch die Philosophen Edmund Husserl und Maurice Merleau-Ponti. Ihnen gemein ist die Erkenntnis, dass soziale Strukturen mit den Akteuren gemeinsam erforscht werden müssten, also der Forschungsvorgang selbst mit in die Interpretation einfließen sollte. Laut Husserl ist die alltägliche, gemeinsame Welt eine intersubjektive. Die Aufgabe der Sozialforschung sei es, diese gemeinsame Welt durch die Erfahrungen der Akteure deskriptiv verstehbar zu machen.

Die Grundlagen der soziologischen Biografieforschung und der Interaktions- und Gesprächsanalyse wurden von Alfred Schütz gelegt. Heute spricht man gemeinhin von ethnographischen Methoden, die u.a. softwaregestützte Textanalysen umfassen.

Postkolonialistische Studien entstanden erstmals mit Beginn der Entkolonialisierung um 1947. Vertreter dieser Schule hinterfragten den kolonialen Blick. Sie kritisierten, dass die Befreiung der Kolonien nur eine politische und keine kulturelle gewesen sei. So existierten die mit der Kolonialisierung einher gegangene Einverleibung der aufoktroyierten Kulturmuster weiter und bedürften einer kritischen Reflexion.

Die Forschung zielt in zwei Richtungen. Zum einen fokussiert sie auf die bei den Einwohnern ehemaliger Kolonien hinterlassenen Spuren der europäischen, weißen Kultur - angestoßen durch Migranten in den USA oder Intellektueller aus Indien - zum anderen auf die Wirkung des Kolonialismus auf das Selbstverständnis der sogenannten ersten Welt. Hieraus entwickelte sich in den 1990er Jahren zunächst in den USA die »Critical Whiteness Studies«. In diesen werden ethnische Merkmale in die Reflexion einbezogen. »Die kritische Weißseinsforschung will die Weißen darauf aufmerksam machen, dass sie nicht einfach ›Menschen‹ sind, sondern weiße Menschen. Das heißt, sie sind nicht ausgenommen von der gesellschaftlichen Bestimmung durch ethnische Merkmale. Diese Bestimmung verschafft ihnen eine Sonderrolle. Dies zu leugnen, heißt, jene rassistischen Hierarchien fortzuschreiben, die sie für überholt annehmen«, begründete die deutsche Autorin Noah Sow diesen Ansatz auf dlf.de.

In Deutschland finden sich analoge Forschungen als Teilgebiet der Ethnologie, Gender-Studies oder der Kulturanthropologie. Unter anderem bietet die Universität Bremen einen öffentlichen Vortrag zum Thema »Am Ende der Weiß-heit? Grundlagen der Kritischen Weißseinsforschung« (uni-bremen.de). Lena Tietgen

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