In Traditionen

Wahlkampfjournalismus

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Dies ist ein Land mit großen Traditionen. Und in diesen Traditionen bin ich drin und lebe sie.« Wer spricht da? Wer bedient sich dieser kruden Mixtur aus unbeholfenem Kinderdeutsch und staatsmännisch-weihevollem Nullsprech? Wer schlägt da so einen sedierenden Ton an, der dem Zuhörer unwillkürlich den noch warmen, duftenden Hefezopf ins Gedächtnis ruft? Wer redet da in diesem schaukelstuhlonkelhaften Sound, bei dessen Erklingen man die beruhigend gleichmäßig tickende alte Kuckucksuhr über der rustikalen Kücheneckbank vorm geistigen Auge stehen hat?

Es spricht Winfried Kretschmann, der grüne Sonnenkönig von Schwaben, der in einem früheren Leben einmal Maoist war und heute Christ ist, der also, als es an der Zeit war, rechtzeitig von der einen Sekte, dem KBW, in die andere gewechselt ist, jenen katholischen Flügel der Grünen nämlich, dem heute die Fusion mit der CDU nicht schnell genug gehen kann. Heute betet er seiner eigenen Aussage zufolge »jeden Tag dafür, dass die Bundeskanzlerin gesund bleibt«, früher dürfte er eher um die Gesundheit von Pol Pot besorgt gewesen sein.

Weil der Mann, der an seiner Rolle als grüne Erlöserfigur erkennbar Freude hat, das unbestrittene Talent besitzt, sich als eine Mischung aus Lichtgestalt und Lieblingsopa zu inszenieren, hat er die besten Chancen, in ca. zwei Wochen von den stockkonservativen Schwaben wiedergewählt zu werden und Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu bleiben. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann es Heiligenbildchen von ihm zu kaufen geben wird.

Da ist es gut, dass wir einen kritischen politischen Journalismus haben, der es sich, unabhängig von persönlichen politischen Präferenzen und Parteihickhack, täglich neu zur Aufgabe macht, einer Phrasenschleuder, sofern sie eine ist, die Maske des Weltweisen vom Gesicht zu reißen bzw. einen Menschen so zu porträtieren, dass er den Nimbus des Heilsbringers verliert. Die kritischen Blätter »Frankfurter Rundschau« und »Berliner Zeitung« taten das jeweils in ihrer vorgestrigen Ausgabe, in der eine Reportage über Kretschmanns Wahlkampf zu lesen war, so: »Hier muss einer nichts mehr beweisen. Er ist der Beweis. Zuweilen scheint er wie ein Krokodil im Wasser zu liegen. Alle wissen, dass es zuschnappen kann, wenn es will. Das reicht vollkommen. Man weiß nicht, wann dem früheren Kommunisten die Aura zugewachsen ist. Gewiss ist: Sie ist da.«

Außerdem erfahren die Leserinnen und Leser, dass der heutige »Staatsmann in Stuttgart«, der, als er vor einigen Jahren erster grüner Ministerpräsident wurde, »eine Sensation schaffte«. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass uns »eine weitere Sensation ins Haus stehen könnte«, nämlich die Wiederwahl des »grünen Verantwortungsethikers« und Sonnenkönigs aus Schwaben, der »daheim logischerweise jeden Grashalm kennt« und dem seine Zuhörer »überwiegend bewundernd an den Lippen hängen«. Doch Moment! Kretschmann, so erfahren wir weiter, »hat Anbiederei nicht nötig«, denn im Jahr »2015 gaben 72 Prozent der Befragten an, mit der Arbeit des Ministerpräsidenten zufrieden zu sein. Das ist nachhaltiges Wachstum.« Ach ja, und bevor wir’s vergessen: »Jetzt muss aus der Umfrage am 13. März bloß noch Realität werden.«

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