Keine militärische Lösung im Donbass

Gründer der Initiative »Verantwortliche Bürger« sieht alle Konfliktparteien in der Pflicht zum Kompromiss

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Enrique Menendez (32) ist ein gebürtiger Donezker spanischer Abstammung. Er führte vor dem Krieg in der Ostukraine eine erfolgreiche Agentur für Internet-Marketing. Er blieb in Donezk, gründete die humanitäre Vereinigung »Verantwortliche Bürger«. Ende Januar wurde er aus der »Volksrepublik Donezk« ausgewiesen. Mit ihm sprach für »nd« Denis Trubetskoy.

Warum sind Sie nach Beginn des Krieges in Donezk geblieben?

Mir wurde sehr schnell klar, dass ich einfach nicht auswandern kann. Ich bin ein echter Fan des Donbass, ein Fan von Donezk. Das glückliche Leben der Menschen in der Region hat für mich allerhöchste Priorität. Während alle anderen, sowohl Kiew als auch die Anführer der selbst ernannten Republiken, keine Verantwortung mehr für diese Menschen tragen wollten, mussten wir etwas dagegen setzen. So haben wir die Initiativgruppe »Verantwortliche Bürger« gegründet. Jemand muss Verantwortung übernehmen.

Was haben »Verantwortliche Bürger« tatsächlich unternommen?

Zuerst halfen wir vor allem bei der Evakuierung, weil wir eigene Autos hatten. Wir analysierten, wohin die Menschen gebracht werden können und ob wir sie mit irgendetwas versorgen können. Das war das Allerwichtigste. Das zweite Ziel war natürlich die Arbeit mit den Medien. Zu unserem Gründerteam gehörten zwei Journalisten und ein bekannter Blogger. Wir wollten die Menschen über die wirkliche Lage informieren, weil sie mit Desinformation von allen Seiten überschüttet wurden.

Wir reisten nach Kiew, wo man vor allem in ausländischen Botschaften mit uns sprechen wollte. Die ukrainische Regierung zeigte kein Interesse. Dann wurde klar, dass die Menschen nicht nur die Evakuierung, sondern unsere Hilfe im Donbass, also hier und jetzt, benötigen. Seitdem entwickelten wir uns zu einer professionellen humanitären Vereinigung mit 23 Mitarbeitern und elf Autos.

Wie halfen Sie?

Wir fuhren mit Autos in die roten Zonen. Die lagen unter schwerem Beschuss - dorthin durften internationale Organisationen wegen der Sicherheitsvorschriften nicht. Wir brachten das dorthin, was die Menschen am meisten brauchten: Arzneimittel, Essen und noch viel mehr.

Hatten Sie Angst?

Sehr große, auf jeden Fall. Ich hörte auf, in die roten Zonen zu fahren, als es mir schließlich meine Frau verbot. Andere Jungs machten das aber bis zuletzt.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den selbst ernannten Volksrepubliken bis zu Ihrer Ausweisung?

Nicht perfekt, aber es ging. Am Anfang bemerkten sie uns einfach nicht. 2014 hatten die Volksrepubliken generell andere Sorgen. 2015 begannen die Republiken aber mit dem Staatsaufbau - und im Sommer gab es erste Versuche, die humanitäre Hilfe unter Kontrolle zu bringen. Unter anderem wurde die Ausweisung von Ärzten ohne Grenzen zu einem großen Skandal. Am Ende des Jahres spürten auch wir Druck.

Was wurde Ihnen vorgeworfen?

Ich glaube, wir waren zu auffällig und zu unabhängig. Am 29. Januar wurden wir dann festgenommen. Das Verhör im Sicherheitsministerium in Donezk dauerte über sieben Stunden. Wir wurden aus der Republik ausgewiesen, ohne das Recht auf eine Rückkehr. Eine offizielle Entscheidung erhielten wir nicht. Mitten in der Nacht wurden wir einfach zwischen den Kontrollpunkten der Volksrepublik Donezk und der Ukraine zurück gelassen - und die ukrainischen Grenzpolizisten lassen in der Nacht niemanden passieren. Zum Glück durften wir nach ein paar Stunden trotzdem rein. Das waren nicht die besten Augenblicke meines Lebens. Es war ja auch eine Zeit, in der der Beschuss stärker wurde.

Was wird aus Ihrer Organisation?

Unsere Filiale in Luhansk arbeitet immer noch. Ansonsten ist die Arbeit unserer Organisation blockiert. Wir wollen nun mit unseren Partnern Projekte auf dem von Kiew kontrollierten Gebiet verwirklichen. Das braucht aber Zeit.

Sie waren von Anfang an politisch neutral. Hat sich Ihre Position durch die Ausweisung verändert?

Überhaupt nicht. Ich glaube, dass die Volksrepubliken künstliche pseudostaatliche Vereinigungen sind, die aber trotzdem Einfluss auf das Leben haben. Sie existieren eben. Einerseits sind sie illegal und gesetzwidrig. Anderseits gibt es viele Menschen, die ihre Legitimität anerkannt haben. Sie haben auch das Recht dazu. Deswegen setze ich mich für direkte Verhandlungen mit den Volksrepubliken ein, weil von diesen Verhandlungen das Leben von 3,5 Millionen ukrainischer Staatsbürgern abhängt.

Was müssen alle Seiten tun, um diesen Konflikt zu beenden?

Die Ukraine muss endlich zugeben, dass es keine militärische Lösung gibt. Sie muss mit Bürgern, die in den besetzten Gebieten wohnen, einen ständigen Dialog führen. Sie muss auch die Beziehungen zu Russland normalisieren. In den nächsten Jahren wird es definitiv keine Freundschaft zwischen beiden Ländern geben. Normale Beziehungen brauchen aber sowohl Kiew als auch Moskau. Russland muss seinerseits verstehen, dass die Ukraine ein unabhängiger Staat ist und dass Moskau auf Kompromisse eingehen muss. Russland wird nicht alles bekommen, was es will. Und die Volksrepubliken müssen endlich aufwachen und die Verantwortung erkennen, die auf ihren Schultern liegt.

Wie sehen Sie die Zukunft des Donbass?

Als erweiterte Autonomie innerhalb der Ukraine. Die Region wird sich nie als »graue Zone«, die niemand anerkennt, richtig entwickeln. Eine Integration des Donbass in die Russische Föderation wird es auch nicht geben. Sie wäre ohnehin nicht im langfristigen Interesse der Menschen. Deswegen muss man sich auf eine lange Reintegration in die Ukraine vorbereiten. Leider gibt es auch in Kiew dafür kein Verständnis. Es versteht nicht, wie der Donbass lebt. Kiew hat keine Ahnung vom Leben in Winnyzja, Saporischschja oder in Charkiw - und das ist ein Problem für das ganze Land.

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