In Leuna und in Weißenfels
Wie eine Regierungserklärung: Matthias Dell über Dresdner Tatort-Folge »Auf einen Schlag« und den vermutlich klügsten MDR-Sonntagabendkrimi seit 25 Jahren
Was der »Tatort« ist, kann man an seinem Sendeplatz ablesen: irgendwas zwischen »Tagesschau« und »Anne Will«-Talkshow. Natürlich gibt es auch die Folgen, die versuchen, gute Filme zu sein, so wie es die Folgen gibt, die schlechte Krimis sind. Aber zur Popularität des »Tatort« gehört es, hin und wieder gesellschaftliche Debatten abzubilden, also Nachricht und Diskurs in eine Filmhandlung zu überführen, um damit politischen Austausch zwischen 10 Millionen Menschen zu stiften.
Dabei ist der »Tatort« immer zu spät; zum einen geht das jedem Film so, zum anderen meldet sich der Bundespräsident auch nicht mit Positionen zu Wort, die gerade erst von zwei, drei parlamentarischen Randgestalten gedacht werden. In gewisser Weise funktioniert der »Tatort« wie eine Regierungserklärung oder Fernsehansprache – nicht als Bestätigung des »Lügenpresse«-Verdachts, dass die Drehbücher fürs Staatsfernsehen von Peter Altmaier geschrieben würden, sondern als große Konsensmaschine, die ihren Ausstoß immer nur an den gefühlten Erwartungen eines Millionenpublikums entlang kalkulieren kann.
Man will wissen, was der »Tatort« dazu sagt. Und wenn ein neuer »Tatort« aus Dresden kommt (MDR-Redaktion: Sven Döbler), und dieses Dresden in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Phänomen Pegida verschweißt ist, dann fühlt es sich wie eine Fehlentscheidung an, wenn der neue »Tatort« das nicht aufgreift. Dabei wurde er im September 2015 gedreht, also vor der Renaissance der Bewegung. Irgendwann wird der »Tatort« aus Dresden sich irgendwie dazu verhalten.
Wobei man nur hoffen kann, dass ihm das dann besser gelingt als die erste Folge des Magdeburger Polizeirufs mit ihren Neunziger-Jahre-Nazis oder die üble Dortmunder Folge »Hydra«, in der geschichtsverdreht ein Nazi stirbt und danach trotzdem alle betroffen sagen, der Film handele von Rechtsradikalismus. Was auch zeigt, wie schwer das Ereignishafte von Nachrichten in eine Krimihandlung zu zwingen ist; Gesellschaftserzählung ist der »Tatort« doch vielmehr, wo er von Rollenbildern und Machtverhältnissen handelt.
Und in diesem Sinne ist »Auf einen Schlag« eine erstaunliche Modernisierungsleistung – der vermutlich klügste ARD-Sonntagabendkrimi, den der MDR in den 25 Jahren seines Bestehens hervorgebracht hat (Drehbuch: Ralf Husmann, Mitarbeit: Mika Kallwass). Und das nicht mal so sehr, weil er in der Volksmusikszene spielt, einem Feld, dem der MDR seine Quoten und damit seine Bedeutung verdankt, und was folglich hübsch ironisch daherkommt. Etwa wenn mit der Erwartung an die ermittlungsstiftende Leiche zu Beginn gespielt wird, indem erst eines und dann noch ein zweites Bandmitglied von »Die Herzensbrecher« scheinbar reglos in der Deko rumliegt, ehe der dritte Männerköper tatsächlich reglos ist und nicht mehr nur seinen Rausch ausschläft.
Bemerkenswert am Dresdner »Tatort« (Regie: Richard Huber) ist vor allem seine Geschlechterpolitik. Mit Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) besetzen erstmals zwei Frauen die Ermittlerhauptrollen, die überdies nicht nur als alleinerziehende Mütter (Gorniak) irgendwie das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie streifen, sondern sich offensiv Gedanken über ihre Rollen als Frauen machen. So wie hier ist im »Tatort« noch nicht über Gleichstellung geredet worden, was sich vor allem an der Nebenfigur von Chef Schnabel zeigt, den der große Martin Brambach spielt. Schnabel ist als Repräsentant einer prekär gewordenen »Normalität« nämlich nicht mehr der dominante Charakter, er macht zwar N-Wort-Witze, aber gerade dadurch steht seine Sprecherposition zur Disposition. »Das ist doch was« (Horst Köhler): das Gespräch über die großen Fragen der Gegenwart findet innerhalb des Films statt und sendet nicht nur grummelnd Kommentare in die Debatte nach draußen. In Münster würde ein Satz wie »Als nur Männer hier waren, wurde mehr gelacht« als süß-sentimentales Bonbon ausgegeben gegen tief empfundene Zumutungen der Jetztzeit, in Dresden steht er im Regen. Es lacht keiner, weil es nicht lustig ist.
Natürlich kann man die Anlage des »Tatort« Dresden berechnend finden. Aber sie ist klug gewählt und relativ elaboriert ausgeführt, Sieland und Gorniak besetzen eine Stelle im öffentlichen Reden, die innerhalb der »Tatort«-Landschaft leer war. Man kann Dresden nur wünschen, sich seine diskursive Frischheit und darstellerischen Möglichkeiten zu erhalten. Denn das, worum es hier geht, sind die großen Fragen unserer Zeit.
Ein Credo, mit dem man auf Stehpartys reüssieren kann: »Früher oder später sind wie alle einsam«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: »Hier wär mal ein bisschen Denken angesagt gewesen«
Etwas für den Grabstein: »Er war so optimistisch«
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