Viel Spektakel, leider nicht nur Spiel

Go, Go, Go-ogle: Das teuerste Unternehmen der Welt hübscht sich mit einem Sparringspartner auf. Von Michael Müller

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Tage kam aus dem südkoreanischen Seoul urplötzlich ein Spiel groß in die Medien: Go. Das hat in Korea, Japan und China Breitensportcharakter; in Deutschland spielen es organisiert nur 2000 Leute.

Zu seiner stärkeren Verbreitung wird der momentane Wirbel kaum beitragen. Schön wäre es bereits, wenn es bei ihm um die arteigene Ästhetik und Meditativität dieses Spiels ginge. Oder um die asketische wie abgründige Schlichtheit seines Regelwerks, das Spieler seit Jahrhunderten zu strategischen Denkhöhenflügen treibt. Doch Go als Kulturgut bleibt ausgeblendet, wenn sich gerade einer der weltbesten Go-Profis, der 32-jährige Lee Se Dol (Südkorea), mit dem Computerprogramm AlphaGo (Google Deepmind) misst.

Es geht in Seoul in erster Linie um viel Geld. Die eine Million Siegprämie sind da zu vernachlässigen. Es geht um Abermilliarden künftige Gewinne in der IT-Wirtschaft. Und die werden auch gar nichts mit Go zu tun haben, sondern mit dem, was man künstliche Intelligenz (KI) nennt. Ihre kurze und treffende Definition stammt von Elaine Rich, einer US-Informatikerin: »KI ist die Lehre davon, wie man Computer Dinge tun lässt, in denen Menschen momentan besser sind.« (zitiert nach Ray Kurzweil, Menschheit 2.0, erstmals dt. bei Lolabooks, Berlin, 2013).

Unsere technologiebestimmte Welt vermittelt den Eindruck, als könnten Computer ohnehin schon alles. Weit gefehlt; in 99,9 Prozent aller Fälle ist der Mensch (noch) besser. Was Computer so können, hat bislang nämlich kaum mit KI-Qualität, sondern mit Rechenleistungs-Quantität zu tun; originäre KI steckt in der Praxis weiterhin in den Kinderschuhen.

Um so spektakulärer muss es dann natürlich wirken, wenn KI gerade dabei ist, dem Menschen auf einem Feld die Stirn zu bieten, von dem gemeinhin angenommen wird, dass sich auf ihm die Klügsten tummeln. Kleiner Irrtum. Schach wie Go setzen zwar einen Höchstgrad an Intelligenz voraus, aber eben nur auf einem ganz, ganz schmalen Pfad im Wald der Weisheit.

Bei Schach hat sich das Mysterium bereits verflüchtigt, seit das Programm »Deep Blue« 1997 den Weltmeister Garri Kasparow 3,5:1,5 schlug. Seither hat Schachmensch gegen Schach-KI keine echte Chance mehr. Darauf wird es auch bei GO hinauslaufen. Gleich oder demnächst. Nach zwei von fünf Partien stand es in Seoul bis Sonnabendvormittag deutscher Zeit übrigens 2:0 für den Computer.

Für besagte KI existieren mehrere Realisierungskonzepte. Die bekanntesten sind rekursive, evolutionäre und genetische Algorithmen, Fuzzy-Logik und schließlich die künstlichen neuronalen Netze (siehe u. a. Bernd Vowinkel, Maschinen mit Bewusstsein, Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2009). Letztere, so Vowinkel, »lösen Probleme nicht nach deterministischen, mathematischen Regeln, sondern durch Erfahrung, indem sie Lösungsversuche auf ihre Tauglichkeit überprüfen und aus dem Ergebnis lernen.« Darauf soll laut Firmenangabe das Programm AlphaGo basieren.

Nur so sei es möglich, betont Google-Deepmind-Chef Demis Hassabis, die unvorstellbar großen Setzvarianten bei Go zu beherrschen. Illustriert wird das gern mit 2,08 x 10170 möglichen Setzvarianten bei Go (doppelt so viel wie Atome im Universum seien!) gegenüber »nur« 1043 Zugvarianten bei Schach. Wobei man sich, ganz nebenbei gesagt, von Megazahlen nie beeindrucken lassen sollte. Oft entpuppen sie sich als ganz alltäglich. So soll ein Mensch z. B. mit jedem Atemzug 2,4 x 1022 Moleküle bewegen, davon übrigens jeweils auch sechs Moleküle vom letzten Atemzug Goethes... (Christoph Drösser, Der Mathematikverführer, rororo, Hamburg, 2009). Na und?

Einiges deutet darauf hin, dass künstliche neuronale Netze in der KI große Zukunft haben. Ganz sicher dürfte indes sein, dass sie am allerwenigsten zum (Go-)Spielen da wären. Ray Kurzweil, brillanter Erfinder, KI-Experte und Googles Technologiechef, verheißt der Menschheit auf der Basis von KI ein künftiges Füllhorn bis hin zur Unsterblichkeit. Wer davon etwas abbekommt lässt er weitgehend im Dunkel. Auch das, was er noch so alles auf KI-Basis verspricht. Etwa als Mitglied der geheimnisumwobenen fünfköpfigen Science Advisor Group der US-Streitkräfte. »Kleiner, leichter, schneller, tödlicher und schlauer« sollen die Kampfsysteme der Zukunft werden, ließ er nur mal so ganz nebenbei fallen (d.A., nd , 21.2.2014).

Bei dem großen Medienspektakel von Seoul geht es also leider nicht nur um ein Spiel, sondern um viel, vielmehr. Alphabet Inc., seit Oktober 2015 die neue Dachgesellschaft von Google Inc., hat sich einen sympathischen Sparringspartner geholt, um sich weiter aufzuhübschen. Das mit über 500 Milliarden Dollar neben USD Apple teuerste Unternehmen der Welt weiß wie so etwas geht. Deshalb hatte und hat Google-Tochter YouTube das Go-Duell natürlich auch weltweit live im Programm. Am 9., 10., 12., 13. und 15. März auch ab 5 Uhr deutscher Zeit.

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