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Der totale Wahnsinn

Der Dokfilm »Soldaten des Lichts« leuchtet in die Abgründe der Welt von Verschwörungsfanatikern

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Die haben doch alle einen Vogel, diese Verschwörungsmystiker und Sektengurus!
Die haben doch alle einen Vogel, diese Verschwörungsmystiker und Sektengurus!

Es sind Menschen verschiedenen Alters, die offenbar in einer kommunenartigen Wohngemeinschaft zusammenleben und ihren Alltag miteinander bestreiten, wie es in der spätkapitalistischen Wohlstandswelt so üblich ist: Es werden Hausarbeiten verrichtet, Youtube- und Tiktok-Videos gedreht, veganes Essen zubereitet, auf die Gesundheit geachtet und im Fitness-Raum Hanteln gestemmt.

Die Gruppe, die wir hier im knapp 100-minütigen Dokumentarfilm »Soldaten des Lichts« von Julian Vogel und Johannes Büttner bei ihren Verrichtungen beobachten können, wirkt auf den ersten Blick sympathisch. Der Anführer, David, der sich den Künstlernamen »Mr. Raw« gegeben hat, ist offenbar ein Social-Media-Influencer, er ist dauernd und sehr schnell am Reden, Menschen umarmen, Videos aufnehmen, ein Machertyp – ein Menschenfänger für schlichte Gemüter. David ist überdies schwarz, in einer Szene erzählt er von seinen Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Laut Ko-Regisseur Büttner kommentierte er diese Passage nach der Sichtung des fertigen Films mit den Worten: »Vielleicht sind die Zuschauer gnädiger mit mir, wenn sie hören, warum ich mich so radikalisiert habe.«

David und seine eigentlich unscheinbare Gruppe zweifeln die Legitimität des deutschen Staates an und glauben an eine umfassende Manipulation aller Lebensbereiche durch sinistre Kräfte, die die »Deutschland-GmbH« beherrschen. Aus dieser, nun ja, Erkenntnis erwachsen allerlei Allmachtsfantasien und in letzter Konsequenz eine Parallelrealität, die im Grunde nach Belieben den eigenen Bedürfnissen nach Anerkennung und vor allem auch denen nach Bereicherung angepasst werden kann. Wir sehen hier dabei zu, wie eine Realität »erschaffen« wird, die sich über alle Erkenntnisse der Wissenschaft hinwegsetzt. David alias »Mr. Raw« und die anderen, die nie ein Studium absolviert haben, sehen sich als Experten und Fachleute für alles Mögliche. Ihre Parallelwelt nennen sie »Königreich Deutschland«.

Einer Krebskranken empfiehlt David, Kräutertees zu trinken und Übungen auf einer »Infrarot-Matte« zu machen: »Der Krebs stirbt, wenn die Temperatur über 42 Grad ist.« Ein Mann, der sich »Peter, der Erste« nennt und offenbar das monarchische Oberhaupt der Königreichsekte darstellt, klärt in kleiner Runde auf: »Wir haben durch die Verbindung mit der Geisterwelt Gottes eine klare Ansage gekriegt, was wir tun sollten … Wir hatten jetzt zum Beispiel eine, die hat ein Kind gerkriegt. Hausgeburt. Ohne Geburtsurkunde. Und dann hat sich die Gebärmutter abgesenkt, der ganze Unterleib war voller Entzündungen. Da hab ich die Wahrscheinlichkeiten gewechselt, da hab ich eine Spontanheilung mit ihr gemacht.«

Der Film belässt es aber nicht dabei, diesen Wahnsinn vorzuführen. Neben David, Peter und weiteren Gurus konzentrieren sich die Regisseure auf das Schicksal eines jungen Mannes namens Timo, der in der Gruppe arbeitet und dessen psychische Erkrankung ebenfalls von David »behandelt« wird. Timo muss täglich stundenlang arbeiten, selbstverständlich unbezahlt, muss Fastenkuren über sich ergehen lassen und ähnliches. Der junge Mann ist mehr Sklave als wirkliches Mitglied der Gemeinschaft. Schließlich flieht er zurück in sein Elternhaus, ohne von der ihm indoktrinierten Ideologie wirklich lassen zu können. Während er jeden Halt zu verlieren droht, bereichern sich die Gurus der Szene fröhlich bei ihren Machenschaften.

David und Konsorten sind Überzeugungstäter. Es geht ihnen um eine »höhere Sache«, nur steht die eben in keiner Weise im Konflikt mit kapitalistischer Ausbeutung. David ist letztlich schlicht ein Unternehmer, der jegliche Form von Arbeitnehmerrechten abschaffen und keine Steuern bezahlen will. Wie jeder andere schnöde Kapitalist auch. Und dazu braucht man dann eben zur Not ein gesetzloses Fantasie-Königreich, in dem es keine gemeinschaftlichen Sicherungssysteme mehr gibt und braucht: Solidarität wird hier als zentrales gesellschaftliches Konzept der zivilisierten Welt einfach liquidiert beziehungsweise auf eine persönliche Ebene verlegt: Der Guru kümmert sich um die Schwachen (indem er den ganzen Tag auf sie einredet) – wer braucht da Staat, Steuern, Gewerkschaften, Minderheiten- und Arbeiterinnenrechte?

Der vollendete Wahnsinn wird hier nicht als etwas der kapitalistischen Gesellschaft entgegengesetztes gezeigt, sondern als Extremform unserer gewohnten gesellschaftlichen Umgangsformen. Für das Kapital ist der Mensch nur Mehrwertproduzent.

Eine der schrecklichsten Szenen des Films zeigt David mit Timo bei Aufnahmen für ein Tiktok-Video oder ähnliches. »Mr. Raw« teufelt dabei auf Timo und sein Publikum ein: »Wir zeigen euch gleich mal, wie Timo aussah, als er zu uns gekommen ist. Wie er zugenommen hat durch vergane Rohkost und wie auch mental seine Verfassung sich geändert hat, denn das wird man in dem Video sofort sehen. Sag noch mal ›Alles Gute‹, Timo!« Neben ihm steht ein unendlich erschöpft wirkender, abgemagerter junger Mann, dem kein Lächeln gelingen mag und dem statt des gewünschten »Alles Gute!« gerade so ein trauriges »Tschüss« über die Lippen huscht. Später muss er noch seinen Bauch herzeigen. David filmt ein »Sixpack«, das Timo angeblich bekommen habe. Die Filmemacher folgen nicht Davids Handykamera, der Timos angeblichen muskulösen Brustkorb zeigt, sondern fokussieren sich weiter auf das Gesicht des Bemitleidenswerten, gehen David bewusst nicht auf die Schliche. Allein durch diesen kleinen filmischen Kniff entlarvt sich das Getue von »Mr. Raw«, der inzwischen Timos Lendengegend filmt und dabei unentwegt davon redet, wie toll er selbst ist. Unerträgliche Clownerie.

Man hofft, dass Opfer und Täter, Manipulierern und Manipulierten noch irgendwie professionell geholfen werden kann. Wie auch der Gesellschaft, der so etwas entspringt.

»Soldaten des Lichts«, Dokumentarfilm, Deutschland 2025, Regie: Julian Vogel und Johannes Büttner, im Kino ab 14.8.

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