Oder eben besser

Nach dem AfD-Erfolg: Die Linkspartei streitet über ihren Kurs

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Strategiekonflikte nach Wahlniederlagen sind üblich - zumal in der Linkspartei. Diesmal aber geht es »um alles«, heißt es von überallher in der Partei. Was nun?

Es kann später niemand behaupten, die Lage sei beschönigt worden: Aus allen Richtungen in der LINKEN wird der Wahlausgang als ernstes Signal, als Wendemarke charakterisiert. »Bedrohlich« nennt etwa der Sprecher des Forums Demokratischer Sozialismus (FDS), Dominic Heilig, die Lage der Linkspartei. Auch aus dem sich als links ansehenden Flügel hieß es, jetzt gehe es »um alles«.

Medial schrumpfte der Streit zunächst auf die Frage zusammen, ob die Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht mit Äußerungen über »Kapazitätsgrenzen« für Geflüchtete und ihrer Sicht auf die »Grenzen der Aufnahmebereitschaft« noch auf dem Terrain der LINKEN agiere. Nachdem schon die Vorsitzende Katja Kipping erklärt hatte, dies sei »eben nicht die Position der Partei«, machte später eine Äußerung von Ex-Fraktionschef Gregor Gysi die Runde: In der Asylpolitik »muss die Partei klar berechenbar sein« und »eine klare einheitliche Position« haben.

Wagenknechts Äußerungen, so sollte das verstanden werden, erfüllen diese Voraussetzung nicht. Die Partei lehne Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen klar ab, sagte Kipping. Aus dem Vorstand hieß es, in der jüngsten Sitzung, die teils unter dem Eindruck des AfD-Durchmarschs stand, seien »sich alle darin« einig gewesen, dass die Linkspartei »weiter Haltung in der Flüchtlingsfrage zeigt«. In einem der in dieser Runde beschlossenen Leitanträge für den Parteitag im Mai steht: »Erst recht, wenn die anderen Parteien nach rechts rücken, bleiben wir standhaft«.

Als »eine reine Ablenkung« kritisierten dagegen die drei Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, Alexander Ulrich und Heike Hänsel, »wenn man sich jetzt auf die Vorsitzende der Linksfraktion« einschieße. Die Politiker lehnten zudem »Appelle, die AfD jetzt allein als faschistische Partei zu etikettieren«, ab - weil dies »keinen einzigen Wähler« für die eigenen Partei zurückhole. Der Fehler sei nicht von Wagenknecht gemacht worden, die, so sehen es Dagdelen, Ulrich und Hänsel, im Wahlkampf »punktete« - was aber augenscheinlich die schlechten Ergebnisse auch nicht verhindern konnte. Der Grund dafür sei, dass die Linkspartei »viel zu spät begonnen« habe, »die AfD sozial zu stellen« und stattdessen einen Wahlkampf »als reine Werteauseinandersetzung mit der AfD« geführt habe.

In der Partei hieß es dazu, nicht die Thematisierung der sozialen Frage sei vernachlässigt worden, der Unterschied liege vielmehr darin, wie dies geschehe. Kritik ist schon früher immer wieder laut geworden, wenn sich linke Politik nach Rücksicht gegenüber nationalistischen, ausländerfeindlichen Ressentiments anhörte. Zugleich schiebt sich eine zweite, ältere Debatte in die Auseinandersetzung: Wenn, und das ist weitgehend unwidersprochen in der Partei, die sozialen Folgen neoliberaler Politik, des Kahlschlags im Öffentlichen und der Entdemokratisierung die entscheidenden Gründe für Verunsicherung und Frustration sind, die sich auch in AfD-Zustimmung niederschlagen - dann müsse auch die Mitverantwortung von SPD und Grünen dafür konsequenter benannt werden, statt Rücksicht auf rot-rot-grüne Bündnisfragen zu nehmen.

Ernsthaft glaubt an diese Option derzeit aber kaum noch jemand. Aus dem Vorstand war vom »Zerfall des Mitte-Links-Lagers« die Rede. Man müsse nun diskutieren, »wie die Prekarisierten und Abgehängten durch uns besser erreicht werden können«. Der Leitantragsentwurf zielt auf soziale Politik und die Erneuerung der Demokratie. Willkommenskultur müsse »mit dem Kampf gegen Armut und den Ausbau des Öffentlichen« verbunden werden.

Auch Wagenknecht hat die Linkspartei aufgefordert, über »Politik und Strategie nachzudenken« - unter anderem in die Frage gekleidet, ob man sich nicht »stärker von der sozial verantwortungslosen Ausgestaltung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition« hätte abgrenzen müssen.

Angesprochen darauf, ob er der Auffassung von Ex-Parteichef Oskar Lafontaines zustimmt, »dass die Bundesregierung nicht genügend für soziale Ausgleichsmaßnahmen gesorgt« habe, antwortete Gysi in der »Sächsischen Zeitung« mit Ja. Er habe schon immer gesagt, »wir müssen gerade den armen Schichten in unserer Bevölkerung richtig fair bezahlte Jobs auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen anbieten«. Sonst entstehe »ein Verlustgefühl«, welches »dann die AfD wiederum missbraucht«. Sein einstiger Kompagnon Lafontaine wurde unterdessen im »Tagesspiegel« mit den Worten zitiert, die Protestwähler der AfD dürften nicht alle als Rechtsradikale oder Rassisten abgestempelt werden.

Linksreformer Heilig warnt derweil vor einem innerparteilichen Schlagabtausch ohne Substanz. »Das, was gerade wieder beginnt abzulaufen, ist genau das, was wir als Partei nicht gebrauchen können«, sagte Heilig mit Blick auf die üblichen, medial übermittelten Schuldzuweisungen. Auch Fraktionschef Dietmar Bartsch hält nichts von weiteren »schädigende« Auseinandersetzungen in den Medien; ähnlich äußerte sich Parteichef Bernd Riexinger. Es komme jetzt darauf an, über die Defizite der gesamten Partei zu diskutieren, forderte Heilig. Man könne es »immer noch schlimmer machen oder eben besser«. Oder, wie es LINKEN-Geschäftsführer Matthias Höhn formuliert: »Lasst uns diskutieren, alte Muster hinterfragen. Es geht um viel.«

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