Myfest-Chaos bekommt Sondergenehmigung

Wummernde Bässe, fließender Urin und kein Sicherheitskonzept: Ein Anwohner klagte erfolglos gegen Straßenfest

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor dem Verwaltungsgericht wurde am Donnerstag eine Klage gegen das Myfest verhandelt. Der Bezirk fühlt sich für die Sicherheit nicht verantwortlich.

»So hoch steht die Pisse beim Myfest im Rinnstein!« Rechtsanwältin Lea Voigt zeigt mit ihren Händen die Höhe einer Bordsteinkante, »So hoch! Wie nach einem Wolkenbruch!« Neben ihr nickt der Kläger Andreas Wandersleben bekräftigend. Der Anwohner klagte gegen das alljährliche Myfest und forderte Zufahrtswege für Rettungswagen ein.

Dabei hatte Innensenator Frank Henkel (CDU) erst vor wenigen Tagen noch einen »Durchbruch« in den Gesprächen zwischen dem Veranstalter Myfest-Crew, Bezirk und Polizei bejubelt. Denn die waren sich zuvor gar nicht einig: Für ein Straßenfest fand sich kein Anmelder, gegen eine Anmeldung als politische Versammlung sperrte sich die Polizei. Schließlich einigte man sich doch auf eine Versammlung - die ein weitaus geringeres Sicherheitskonzept benötigt als ein Straßenfest.

Ein unzureichendes Sicherheitskonzept für die zu erwartende Meute Feiernder in Kreuzberg, bemängelten die Anwälte vor Gericht. »Wenn sich wie im vergangenen Jahr allein durch die Oranienstraße 40 000 Besucher drängen - wie soll dann ein Rettungswagen durchkommen?«, fragte Anwalt Johannes Eisenberg und rief den Vertretern der Stadt zu: »Ihr seid verantwortungslose Gesellen! Wenn eine Katastrophe wie in Duisburg passiert, will es keiner gewesen sein!« In Duisburg war es während der Loveparade 2010 zu einer Massenpanik gekommen, 21 Menschen starben, über 500 wurden verletzt.

Die Verantwortung sieht der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg jedoch keineswegs bei sich. »Das sind Fragen für die Verfassungsbehörde«, wand sich Rechtsamtsleiter Heinrich Baasen, der Bezirk sei nur für die Einhaltung von Halteverboten zuständig. Die Polizei wiederum wies darauf hin, dass sie zwar für die Versammlung zuständig sei - nicht aber für die Genehmigung von Sondernutzungen der zahlreiche Stände, die Sicherheitswege ebenfalls versperren könnten. Das sei Sache des Bezirks.

Im Gegensatz zu den urinalen Sturzbächen, in denen der Richter Wilfried Peters keine Rechtsverletzung feststellen konnte, sah er in dem fehlenden Sicherheitskonzept durchaus ein Problem. Das Land Berlin wurde deshalb zu kleineren Zugeständnissen gezwungen: Die Adalbertstraße solle frei bleiben von Ständen. Zudem solle der Anwohner zwei Tage vor dem 1.-Mai-Wochenende benachrichtigt werden, wie viele Stände vor seinem Haus in der Oranienstraße genehmigt wurden. Ihm wird damit eine Eilklage ermöglicht.

Der eigentliche Streit um das »Myfest« ist damit jedoch nicht vom Tisch: »Das Ganze ist reiner Etikettenschwindel! Mittels eines Strohmannes veranstaltet der Bezirk ein als Versammlung getarntes Fest, um die revolutionäre 1.-Mai.-Demonstration zu verhindern«, sagte Anwältin Voigt. Die Demonstration ist bereits angemeldet - und führt ebenfalls durch die Oranienstraße. »Unsere Demo hat am 1. Mai in Kreuzberg Tradition. Wenn uns die Route verboten wird, klagen wir«, kündigte Marko Lorenz vom Bündnis an.

Das Myfest selbst bleibt ohne Auflagen, am frühen Donnerstagabend wurde die Klage des Anwohners vom Gericht zurückgewiesen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -