Spechtbefall

  • Volker Surmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Unser Haus bekommt ein Spechtmanagment. Was für ein komisches Wort. Klingt nach einer dieser neuen Führungsmethoden, die Business-Esoteriker jedes Halbjahr auf den Markt schmeißen. Nach der Methode »Nilpferd« (auftauchen, Maul aufreißen, abtauchen) nun Woodpecker’s Governance: »Kolleginnen und Kollegen! Der Specht macht es uns vor: 1. Kopf hinhalten und einsetzen, 2. Schnabel halten und in die Tiefe gehen, 3. Schlagzahl erhöhen und wild drauflos hacken.«

Aber nein. Ich wohne an einem Friedhof, und unser Haus hat Spechtbefall. Noch so ein komisches Wort. Anfangs habe ich unserem Nachbarn im Seitenflügel gegenüber nicht glauben wollen: Jaja, Spechte klopfen an Ihren Wänden, von außen. Ham Sie Schnaps getrunken? Das kenn ich, da ist das Hämmern hinterher aber ganz natürlich. Gibt hierzulande ja viele Köpfe, die genügend Totholz bereithalten für den Berliner Flausenspecht. Der hat bekanntlich schon viele Hauptstadtinsassen behämmert.

Dann aber musste ich dem Nachbarn recht geben. Irgendwann hörte ich es auch in den frühen Morgenstunden: trrrrtt trrrrrt - und zwar etwa auf der Höhe meines Kopfkissens. Kein Zweifel: Ein Specht war gerade aushäusig am Werk! Und das morgens um sechs! Ja, das ist die wilde Großstadt! Das ist das Wildlife Berlins.

Es ist schon traurig. Ich bin im Teutoburger Wald aufgewachsen. Auf einem Bauernhof. Um uns herum nur Landschaft, nur Natur! Doch meinen ersten Fuchs in freier Wildbahn habe ich auf der Gerichtsstraße im Wedding gesehen. Mein erstes Wildschein, wie es gerade eine Mülltonne am Schlachtensee plünderte. Aber dit is Berlin! Hier füttern Waschbären ihren Nachwuchs mit Döner extrascharf, betrunkene Marder torkeln über Gehwege, nachdem sie wieder zu tief in’n Motorschlauch mit Frostschutz geschaut haben, und Eichhörnchen fallen benommen vom Baum, weil sie im Görli statt Vorratsnüsschen wieder nur Haschisch ausgebuddelt haben. Ein Freund erzählte neulich, er sei auf dem Tempelhofer Feld fast von einer neben ihm explodierenden Walnuss erschlagen worden, die findige Krähen aus großer Höhe über den Landebahnen abwerfen, um sie zu knacken. Sei Krähe, sei innovativ, sei Berlin!

Und die Friedhofsspechte nebenan fanden heraus, dass unsere hübsch mit Styropor verkleidete Fassade einen genauso tighten Sound hat wie morsches Holz, man darin geile urbane Wohnhöhlen in Erstbezug errichten und man hier die heißesten Insekten aufreißen kann. Kurzum: Unsere Fassade war im Spechtmilieu begehrt wie eine leer stehende Zweizimmerwohnung in Friedrichshain bei einem dänischen Zahnärztepaar. Kann aber auch sein, dass die Spechte bloß rammdösig im Kopf geworden sind, denn der Friedhof liegt in Ostberlin, mindestens einmal am Tag wird hier ein »kleiner Trompeter« zu Grabe getrötet, da würde ich als Specht auch irgendwann nicht mehr wissen, wo das Holz hängt.

Fazit: Unsere Fassade muss für ein Heidengeld saniert werden, unser Haus bekommt ein Spechtmanagement. Nicht schlecht, Herr Specht!

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