Abgeschirmter Hochglanzbesuch

Zehntausende Argentinier protestierten gegen Anwesenheit von US-Präsident Obama

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.
Erstmals seit Jahren besuchte ein US-Staatschef Argentinien. Zahlreiche Demonstranten kritisierten: Die USA hätten ihre Verstrickung in den Militärputsch des Landes nie aufgearbeitet.

Argentinien gedenkt des 40. Jahrestags des Militärputsches und seiner Opfer. Unter dem Motto »Nunca mas« (Nie wieder) waren Zehntausende am Donnerstag (Ortszeit) landesweit auf die Straßen gegangen. In der Hauptstadt Buenos Aires fanden die Märsche vor dem Präsidentenpalast statt. Mit der Forderung »Obama fuera de Argentina« (Obama raus aus Argentinien) wandte sich ein Teil der Demonstranten gegen die Anwesenheit von US-Präsident Barack Obama.

Dessen Auftritt im Parque de la Memoria zusammen mit Argentiniens Präsident Mauricio Macri war mit Spannung erwartet worden. Das Ergebnis fiel eher nüchtern aus. Außer ausgewählten Medien war niemandem Zugang gewährt worden, die sonstige Öffentlichkeit war weiträumig ausgesperrt. In seiner kurzen Ansprache lobte Obama den Mut der Opfer und deren Angehörigen für den Einsatz für die Menschenrechte. Kein Wort verlor Obama über die Verstrickung der USA in den Putsch. Stattdessen hob er die Bemühungen der US-Botschaft hervor, bei der Suche nach den Verschwundenen geholfen zu haben. Am Ende wiederholte Obama die schon vor Tagen gemachte Ankündigung von der erstmaligen Offenlegung von Unterlagen aus den Archiven der Militärs und Geheimdienste. Erst kürzlich hatte Obama auf die Frage eines Journalisten über die Rolle der USA bei den Militärputschs der 70er Jahre ausweichend geantwortet. Es habe in der US-Politik glorreiche und weniger produktive Momente gegeben. In den 70er Jahren hätten sich die USA für die Menschenrechte, aber auch für den Kampf gegen den Kommunismus eingesetzt. Man sei in den letzten Jahren sehr selbstkritisch gewesen.

Am 24. März 1976 putschte das Militär in Argentinien. Als oberster Chef der Streitkräfte hatte Jorge Rafael Videla zusammen mit Admiral Emilio Massera und General Orlando Agosti die damalige Präsidentin Isabel Perón abgesetzt. Als De-facto-Präsident löste Videla die Parteien auf und schaffte das Parlament ab. Was folgte, war eine Herrschaft, unter der politische Gegner gnadenlos verfolgt und eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik eingeführt wurde. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass in über 300 geheimen Gefangenenlagern bis zum Ende der Diktatur 1983 rund 30 000 Menschen ermordet wurden.

Zu Obamas Auftritt waren auch Menschenrechtsorganisationen eingeladen, aber eine nach der anderen sagte ihr Erscheinen ab. In einem offenen Brief nannten Opfer der Diktatur und deren Familienangehörige Obamas Auftritt »eine Beleidigung«. Alle US-Regierungen »haben die Militärs unserer Länder in der bekannten Militärakademie ›School of the Americas‹ ausgebildet. Dort wurden sie hingeschickt, um in den Fächern Folter, Infiltrieren und Verschwindenlassen ihr ›Diplom‹ zu machen«, heißt es in dem Schreiben.

Als eine der ersten hatte Hebe de Bonafini, Vorsitzende einer Gruppe von Müttern, deren Kinder in der Diktator verschwunden waren, das Treffen mit dem US-Präsidenten abgelehnt. Obamas Ankündigung, Dokumente freizugeben, kommentierte sie: »Wir wissen doch, was passiert ist, vierzig Jahre später macht das keinen Sinn.« Auch weitere Nichtregierungsorganisationen waren skeptisch. Schon einmal habe die US-Regierung »etwas aus den Archiven geschickt, aber das waren Seiten mit geschwärzten Namen. Ich bin sicher, dass diesmal das Gleiche passieren wird«, so die Aktivistin Nora Morales de Cortiñas.

Der argentinische Präsident Macri scheint derweil das Erinnern an die Diktatur verändern zu wollen. So hat er den Direktor des Nationalen Erinnerungsarchivs, Horacio Pietragalla, entlassen. Pietragalla war das Kind einer politischen Gefangenen. Zugleich sollen auf dem Gelände der Technikschule der Marine (ESMA), dem größten ehemaligen Folterzentrum des Landes, zahlreiche Organisationen angesiedelt werden, die nichts mit dem Ursprung zu tun haben. Für Macri selbst ist der Besuch Obamas ein Hochglanzerlebnis. Zwar trat bei dem Argentinier neben dem medienerprobten US-Amerikaner deutlicher als sonst seine hölzerne Haltung und verkrampfte Anspannung zu Tage. Bleiben werden am Ende aber die offiziellen Fotos.

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