Auch der Himmel ist längst digital

Oper »Gutenberg«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Alle Jahre wieder lädt Guy Montavon nach Erfurt zu einer Uraufführung. Verlässlich und entgegen allen Mächten der Publikumsgewohnheiten und Risiken, die Novitäten in der Oper, so an sich haben. Seit das neue Haus 2003 mit einer Uraufführung (Aderholds »Luther«) eröffnet wurde, gibt es dort mindestens einmal im Jahr auch was Neues auf der Bühne. Jedenfalls etwas neu Komponiertes. Meist ohne jede Insiderattitüde, manchmal aber auch etwas arg hausbacken.

In Volker David Kirchners »Gutenberg«, dem zweiten Teil des Doppelabends, dem die Regie ein fast gleichlanges Vorspiel mit dem leicht hochstapelnden Titel »Digitale Revolution« voranstellt, muss man manchmal an Bergs »Wozzeck« denken. Weil da Volksliedhaftes erinnernd aufscheint. Aber nicht wegen Bergs Musik, sondern nur wegen dieser Art von Melange. Mit seinem eigenen musikalischen Beitrag bleibt Kirchner in einem geschmeidig ariosen, dezidiert traditionellen Konversationstonfall. Steuert also Musik der Marke »Keine Angst vor neuen Tönen« bei.

Kirchner, Jahrgang 1942, hat auch das Libretto verfasst. Für neun Szenen aus dem Leben(-sende) Johannes Gutenbergs, dem Erfinder des Buchdrucks, mit beweglichen Lettern. Ein Mann des Fortschritts, mit Bewunderern und Neidern, aber auch mit entsprechend vehementen Gegnern - die Kirche schickt ihm wegen seines Bibeldrucks einen Probst (Julian Freibott) auf den Hals. Dass Kirchner Gutenberg mit dem Bewusstsein, eine Erfindung mit umwälzender Fernwirkung gemacht zu haben, ausstattet, macht Siyabuela Ntlade mit baritonaler Verve deutlich.

Im allzu schlicht geratenen ersten Teil müssen Teile der Johannes-Passion und der h-Moll-Messe von Bach, einem von Gunnar Geisse live untergemischten Elektroniksound und einer platten Sprechblasen-Kommunikation zu: Mensch, Masse, Konsum- und Smartphonesucht standhalten.

Der Moderator dieser Show (Schauspieler Mark Pohl) schafft es auch in die eigentliche Oper hinüber. Dort kehrt er als Applegründer Steven Jobs zurück und diskutiert in der letzten Szene (im Cyberhimmel - wo sonst?) mit seinem Ahnherrn in Sachen Kommunikationsrevolution die Vor- und Nachteile von Fortschritt im Allgemeinen.

Auch der Würfel (Gottes, wessen sonst !?) wird hier aufgeklappt zu einem metaphorischen Kreuz und ganz bühnenpraktisch zu einer Projektionswand. Für eine mittelalterliche Stube. Nicht radiert, sondern projiziert. Da geht man als scharfe Krankenschwester von heute rein und taucht als gut verhüllte Nonne wieder auf. Zum Beispiel.

Was Torge Møller und Momme Hinrichs vom Videoduo fettfilm zu Martina Vehs Inszenierung und Christl Weins Ausstattung beisteuern, hat auch sonst Witz. Und illustriert hinreichend, die überschaubare Handlungskost, bei der das Revolutionäre an Gutenbergs Entdeckung etwas zu kurz kommt. Samuel Bächli am Pult des Erfurter Orchesters, der Chor und die Protagonisten legen sich mächtig und mit der für die Erfurter Uraufführungen typischen Sorgfalt für diese Gutenberg-Oper ins Zeug.

Weitere Aufführungen: So., 3.4., Fr., 8.4., So., 17.04., Fr., 22.04., So., 8.5.

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