Obolus für Plastiktüten

Der deutsche Einzelhandel will per Selbstverpflichtung eine gesetzliche Regelung vermeiden

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch in Deutschland soll der inflationären Verwendung von Plastiktüten der Kampf angesagt werden. Zumindest ein bisschen.

Eine für die Brötchen, eine für die neue Jeans, eine für die Kopfschmerztabletten aus der Apotheke - über 70 Plastiktüten benutzt jeder Bundesbürger im Schnitt pro Jahr, beinahe alle werden danach weggeworfen. Und da sind die extrem dünnen Beutel, die in fast jedem Supermarkt an den Obst- und Gemüseregalen abgerissen werden können, noch nicht mal eingerechnet. Zugegeben, damit liegt Deutschland gar nicht so schlecht, was die Menge der Tüten angeht: Der europäische Durchschnitt liegt bei über 170 Tüten pro Kopf und Jahr, die größten Verschwender sind Polen und Portugiesen, von denen jeder im Durchschnitt rund 500 Tüten im Jahr benutzt. Positive Spitzenreiter sind die Iren mit 20 Stück pro Jahr, darunter 18 Einwegtüten. Allerdings ist jede Tüte eine zu viel, wenn es um Umweltschutz und Nachhaltigkeit geht.

Die vermeintlich praktischen Behältnisse für Lebensmittel, Kleidung und Elektrogeräte verbrauchen nicht nur bei ihrer Herstellung kostbare Rohstoffe wie Erdöl und Energie, sondern belasten den Ökokreislauf noch Jahrzehnte nach ihrer Benutzung. Die bedruckten Beutel können zur Todesfalle für Fische und Vögel werden, sind praktisch unzerstörbar, und durch Wind, Wetter und Wasser abgeriebene Mikroplastikteilchen landen am Ende im Trinkwasser oder in den Mägen von Tieren - und somit in der menschlichen Nahrungskette.

Viele Länder haben sich bereits entschlossen, den Plastiktütenmüll zu verringern und Verbote ausgesprochen oder Steuern erhoben. So sind Plastiktüten in Bangladesch seit dem Jahr 2000 gänzlich verboten, in China dürfen sehr dünne Tüten seit 2008 nicht mehr verwendet werden, Dänemark, Irland und Großbritannien lassen die Kunden bezahlen, wenn sie unbedingt eine Tüte haben wollen.

Auch die EU hat die Dringlichkeit erkannt und die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Menge der Tüten pro Kopf bis Ende 2019 auf 90 und bis Ende 2025 auf 40 zu begrenzen. Betroffen sind allerdings nur Einwegtüten mit einer Wanddicke von weniger als 0,05 Millimetern. Mehrfachtüten sind ebenso wie die dünnen Obst- und Gemüsetüten ausgenommen. Sie dürfen aus hygienischen Gründen weiter unbegrenzt benutzt werden. Wie die EU-Staaten die im April 2015 beschlossene Richtlinie umsetzen, ist ihnen überlassen - möglich sind ein nationales Verbot oder eine Abgabe.

Hierzulande konnte sich der Einzelhandel lange nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) drohte deshalb im Januar dieses Jahres mit einer gesetzlichen Regelung. Das wollte der Handel dann doch nicht riskieren, da ein Gesetz möglicherweise härtere Verpflichtungen nach sich ziehen könnte als eine freiwillige Selbstverpflichtung. 72 Prozent aller Plastiktüten kommen aus dem Einzelhandel, rund sechs Milliarden gehen pro Jahr über die Tresen. Einzelne Läden wie die Drogeriemarktkette dm spielten Vorreiter und verbannten kostenlose Tüten von den Kassen, der Textildiscounter Kik verzichtet sogar gänzlich auf Plastiktüten. Dagegen will sich der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks offenbar nicht beteiligen.

Anfang Februar teilte der Handelsverband Deutschland (HDE) schließlich mit, dass man sich mit dem Umweltministerium geeinigt habe und die meisten Einwegbeutel im Einzelhandel ab dem 1. April Geld kosten werden. Die Höhe der Gebühr können die Unternehmen selbst festlegen. 60 Prozent der Tüten im Handel sollen bereits am Stichtag von der Regelung erfasst sein, bis 2018 hofft HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth auf 80 Prozent. Wie viel die Kunden pro Tüte zahlen müssen, ist unterschiedlich, das Kartellrecht verbietet eine einheitliche Festlegung. Berichten zufolge werden etwa C&A und H&M ab April Geld für ihre Tüten verlangen - bei C&A sollen es 20 Cent je Tüte sein. Die Selbstverpflichtung tritt indes noch nicht am 1. April in Kraft, denn das Bundesumweltministerium sieht noch Nachbesserungsbedarf. Es erwartet eine Einigung im Laufe des Monats.

An Ländern wie Dänemark, wo die Tütenabgabe bereits seit über 20 Jahren funktioniert und zu einer deutlichen Reduzierung der Menge geführt hat, kann man sehen, dass dieses Mittel funktioniert. Noch umweltfreundlicher wäre allerdings der völlige Verzicht auf Plastiktüten und ihre Ersetzung durch Alternativen wie Stoff oder Papier. Wobei besonders letztere auch nicht ganz unproblematisch sind: Umweltverbände raten vom vermeintlich umweltfreundlichen Papier ab, da für reißfeste Beutel kein Altpapier verwendet werden könne und Papiertüten somit zur Waldabholzung beitrügen. Auch die oft beworbenen »biologisch abbaubaren« Tüten halten nicht, was sie versprechen. In Versuchen stellte sich heraus, dass sie sich wesentlich langsamer abbauen als angegeben bzw. sogar ebenso wenig wie normale Plastiktüten.

Eine Alternative sind Läden wie der Berliner »Original unverpackt«. Dort gibt es ausschließlich lose Lebensmittel, die in selbst mitgebrachte Gefäße abgefüllt werden. Allerdings wird sich das Konzept in absehbarer Zeit wohl kaum durchsetzen.

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