Unerlässlich und doch unsichtbar

Studie: Die Arbeitsrealitäten Beschäftigter in ungelernten Sparten verhindern ihre demokratische Teilhabe

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 3 Min.
Stress und wenig Bezahlung: Die Gebäudereinigung ist ein typisches Beispiel für Basisarbeit.
Stress und wenig Bezahlung: Die Gebäudereinigung ist ein typisches Beispiel für Basisarbeit.

Sie reinigen Büros, räumen Supermarktregale ein, liefern Essen aus oder pflegen Alte und Kranke. Ihre Arbeit bildet das Fundament unseres Alltags, bleibt in politischen Debatten jedoch in großen Teilen außen vor: sogenannte Basisarbeiter*innen. Ein Fünftel der Beschäftigten in der Bundesrepublik arbeitet in solch un- und angelernten Tätigkeiten – sowohl in der Produktion als auch im Dienstleistungsbereich.

Johanna Siebert und Mara Buchstab von der Berliner Denkfabrik »Progressives Zentrum« haben in ihrer Studie »Die Unverzichtbaren – Menschen in Basisarbeit« Berichte von solchen Beschäftigten gesammelt. Die Arbeitsumstände von Menschen in der Gebäudereinigung, der Gastronomie, der Produktion, der Logistik oder in der Pflege sind demnach fast immer geprägt von Stress, geringem Einkommen und wenig Anerkennung.

Die Ergebnisse zeichnen ein eindringliches Bild der Arbeitsbedingungen: Ein Viertel der Befragten ist geringfügig beschäftigt, 13 Prozent befristet, und mehr als 38 Prozent fühlen sich häufig gehetzt – deutlich mehr als Qualifizierte. Fast die Hälfte der Basisarbeiterinnen leidet am Monatsende unter Geldmangel.

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In Berufen wie Reinigung oder Logistik arbeiten bis zu 78 Prozent ohne formale Qualifikation. Gleichzeitig sind Weiterbildungsangebote rar, betriebliche Mitbestimmungsrechte eingeschränkt und die Angst vor Statusverlust wächst. Hinzu kommen Sprachbarrieren und unsichere Aufenthaltsstatus, die verletzlich machen. Das nutzen einige Unternehmen aus.

Die Studie zeigt zudem, wie unsichere Arbeit politisches Denken und Handeln beeinflusst. Denn mit prekären Anstellungsverhältnissen gehe ein geringeres Demokratievertrauen der Beschäftigten einher. Andersherum fördere eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch die demokratische Teilhabe.

»Demokratiesicherung bedeutet Entprekarisierung.«

Johanna Siebert Denkfabrik Progressives Zentrum

Angesichts aktueller Entwicklungen sind diese Erkenntnisse unerlässlich. Denn bei der Bundestagswahl 2025 wählten 38 Prozent der Arbeiter*innenschaft die AfD – mehr als Union und SPD zusammen. »Demokratiesicherung bedeutet damit Entprekarisierung – im Sinne der Stärkung von finanzieller, physischer und psychischer Sicherheit sowie des Ausbaus von Selbstbestimmung und Solidarität im Arbeitsumfeld«, erklärte Siebert bei der Vorstellung der Studie im Berliner Hans-Böckler-Haus.

Im Rahmen der Veranstaltung wurde zudem ein Dokumentarfilm gezeigt, der drei Basisarbeiterinnen in ihrem Arbeitsalltag porträtiert – unter anderem die 34-jährige Cynthia Würpel. »Wir arbeiten für und mit den Menschen«, erklärt die ambulante Pflegehilfskraft aus Magdeburg bei der Vorstellung der Studie. »Ich liebe meinen Job«, fügt sie hinzu.

Die Studie beschreibt nicht nur die materiellen Verhältnisse des Lebens von Basisarbeiter*innen, sondern gibt auch einen Einblick in ihre Gefühlswelten. Diese beinhalten Verletzungen, enttäuschte Hoffnungen und verwehrte Anerkennung, jedoch auch Stolz auf die eigene Arbeit und Wissen über die eigenen Fähigkeiten.

Die Arbeit der Wissenschaftlerinnen steht in der Tradition anderer Veröffentlichungen, in der betroffene Menschen selbst zu Wort kommen. Bereits in den 1990ern erschien »Das Elend der Welt« des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Dort ließen er und sein Forscherteam zahlreiche »einfache Menschen« erzählen. Die Erwerbslosen, Migrantinnen, Landwirte und Arbeiter*innen berichteten von ihren Biografien, Lebensverhältnissen, Perspektiven und Erfahrungen, Hoffnungen und Enttäuschungen.

2021 sammelten die deutschen Soziologinnen Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey in ihrem Buch »Verkannte Leistungsträgerinnen« Berichte »aus der Klassengesellschaft«. Auch dort kamen Beschäftigte aus Branchen wie Gesundheit, Ernährung oder Logistik selbst zu Wort.

Anschließend an den Dokumentarfilm eröffnete Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, eine Debatte, an der sich Amazon-Betriebsrat Hedi Tounsi, die Arbeitssoziologin Mayer-Ahuja und Staatssekretärin Leonie Gebers beteiligten. Fahimi unterstrich die gesamtgesellschaftliche Bedeutung einer materiellen und immateriellen Aufwertung von Basisarbeit. Doch zweifellos standen an diesem Abend die Basisarbeiterinnen um Würpel im Zentrum der Debatte.

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