Wird Brandanschlag in Tröglitz jemals aufgeklärt?

Gemeinde in Sachsen-Anhalt ist ein Jahr nach Feuer in Asylunterkunft weiterhin zerrissen / Von den Täter fehlt weiterhin jede Spur

  • Franziska Höhnl
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bilder gingen um die Welt: Schwarzverkohlte Balken eines Hauses ragen in den Himmel von Tröglitz. In das Gebäude sollten Flüchtlinge einziehen. Der Brandanschlag in dem Ort im April 2015 wird zum Symbol für Rassismus.

In der Nacht zum 4. April steht ein Haus im kleinen Tröglitz im Süden Sachsen-Anhalts in Flammen. 40 Flüchtlinge sollten darin einziehen. Wochenlang gibt es in dem Ort von NPD-Mitgliedern organisierte rassistische Proteste gegen die Unterkunft - zum Schutz seiner Familie tritt der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth nach Anfeindungen zurück. Dann wird das Haus in Brand gesteckt. Der Anschlag sorgt über Deutschland hinaus für Aufsehen und Empörung. Ein Jahr ist das nun her. Was wurde seitdem aus...

- den Ermittlungen: Bisher gibt es keine heiße Spur. Die Polizei gründete nach dem Anschlag die Soko »Kanister«. Bis zu 22 Beamte ermittelteten in Hochzeiten. Sie seien zuversichtlich, die Brandstifter zu finden, hieß es zunächst aus dem Landeskriminalamt. Im Oktober wurde zwar ein Mann verhaftet, kam mangels ausreichendem Verdacht aber bald wieder frei. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle meldete zuletzt: Es gibt keinen konkreten Verdacht.

Das Motiv? Die Ermittler vermuten bis heute Fremdenfeindlichkeit. »Die Ermittlungen sind schwierig«, bilanziert ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA). Die Beweisstücke und Zeugenaussagen hätten letztlich nicht den erhofften Erfolg gebracht. Die Soko hat nur noch drei Mitarbeiter und führt letzte Ermittlungen. In wenigen Wochen kommt die Akte zur Staatsanwaltschaft. Dann wird entschieden: Verfahren einstellen oder weiterermitteln.

- den Flüchtlingen: 40 Flüchtlinge sollten kommen, bevor die bezugsfertige Asylunterkunft brannte. 23 sind da, die meisten aus Afghanistan, drei sind Inder. Sie wurden im Ort verteilt. Keiner von ihnen sei bisher weiter- oder weggezogen, erzählt Landrat Götz Ulrich (CDU). Alle Familien haben Paten aus dem Ort, die sich kümmern. »Vorbildlich« sei dieses Engagement, sagt Ulrich. Die schweigende Mehrheit beäuge die Neuankömmlinge jedoch immer noch skeptisch.

- dem Bürgermeister: Markus Nierth nennt das Jahr nach seinem Rücktritt und dem Brandanschlag selbst »eines der schwersten Jahre« für seine Familie. Sie mussten mit Ablehnung, Morddrohungen und offenem Hass umgehen, langjährige Freundschaften im Ort zerbrachen. Er als Trauerredner und seine Frau Susanna mit ihrer Tanzschule müssen bis heute mit Einbußen leben, weil Kunden wegbleiben. Lange leben sie unter Polizeischutz. Doch die Nierths geben nicht auf, übernahmen Patenschaften für Flüchtlinge, stellten private Wohnungen zur Verfügung. Er würde alles wieder so machen, auch das mit dem Rücktritt, bilanziert der 47-Jährige. Trotz der Verwurzelung nehme sich seine Familie aber auch die Freiheit, über einen Wegzug nachzudenken, sagt Nierth. Der Familienrat werde demnächst abstimmen.

- der Brandruine: Sie ist bis heute nicht saniert. Ein behelfsmäßiges Notdach schützt das Mehrfamilienhaus an der Ernst-Thälmann-Straße vor Wetterschäden. Der Eigentümer schätzt den Schaden auf einen mittleren sechsstelligen Betrag. Die Versicherung habe bisher ein Drittel bezahlt, verweise auf die laufenden Ermittlungen, erzählt er einem Team des MDR-Magazins »Exakt«. Der Landkreis hält seine Mietabsicht erst aufrecht. Weil die Sanierung nicht vorankommt, nimmt Landrat Ulrich Abstand und sucht einzelne Wohnungen für die Flüchtlinge. »Das ist auch eine Lehre aus dem Geschehen in Tröglitz. Dass es besser ist, die Menschen nicht geballt in einem Objekt unterzubringen.«

- dem Ort: Er ist zerrissen, polarisiert - und er bleibt es auch ein Jahr nach der Eskalation. Ähnlich wie unzählige andere Orte, in denen sich Befürworter der Flüchtlingshilfe und Gegner gegenüberstehen. Der Medienrummel verschreckt viele Tröglitzer. Der einzige Supermarkt in dem etwa 2700 Einwohner zählenden Ort hat inzwischen dicht gemacht. Die ablehnende Haltung ist bei vielen nicht verschwunden. Bei der Landtagswahl Mitte März wird die rechtspopulistische AfD in Elsteraue - der Gemeinde, zu der Tröglitz gehört - mit mehr als 30 Prozent stärkste Kraft vor der CDU. dpa/nd

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