Klagewelle auf der nächsten Justizstufe

Bausparen und Bausparkassen

  • Lesedauer: 4 Min.
Im Dauerstreit zwischen Anlegern und Bausparkassen liegen erste schriftliche Beschlüsse höherer Instanzen vor. Sie sind widersprüchlich.

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart entschied am 30. März 2016 (Az. 9 U 171/15), dass die Kündigung eines mit drei Prozent verzinsten Vertrags durch die Bausparkasse Wüstenrot von 1978 unberechtigt war. Das OLG stellte sich damit gegen zwei Dutzend Beschlüsse anderer OLG, als erste mündliche Verhandlung auf OLG-Ebene.

Wenige Tage später ein Punkt für die Bausparkassen: Die Kündigung eines Bausparvertrags aus dem Jahr 1991 sei rechtens, sagte der schriftliche Beschluss des OLG Hamm (Az. 31 U 175/15).

Worum geht es?

In den 80er und 90er Jahren lockten Bausparkassen Kunden mit Guthabenzinsen von bis zu fünf Prozent - die Institute brauchten Geld, um es als Darlehen weiter zu vergeben. Das Geschäft boomte. Als die Zinsen gegen null sanken, legten viele Sparer jedoch ihr Recht auf ein Bauspardarlehen auf Eis - solche Kredite gab es inzwischen häufig günstiger als Einzelkredite außerhalb des Bausparvertrags. Die Guthabenzinsen wurden für die Bausparkassen zu finanziellem Ballast. Also kündigten sie Verträge, die mindestens zehn Jahre zuteilungsreif waren - 200 000 solcher Kündigungen gab es 2015.

Wie ist die rechtliche Lage?

Es gibt inzwischen etwa 200 Urteile. In 90 Prozent der Fälle bekamen die Bausparkassen Recht, nur in 10 Prozent die Verbraucher - so der Verband der Privaten Bausparkassen. Doch zentral erfasste Daten einer objektiven Stelle gibt es nicht.

Der juristische Knackpunkt?

Aus Sicht der Bausparkassen findet durch den Verzicht auf das Darlehen eine Zweckentfremdung des Bausparvertrags zur reinen Kapitalanlage statt. Sie berufen sich auf § 489 BGB, demzufolge Darlehensnehmer zehn Jahre nach vollständigem Empfang einer Leistung kündigen dürfen. In der Sparphase sehen sich die Finanzinstitute als Darlehensnehmer - sie erhalten Geld der Sparer und zahlen Zinsen.

Aus Sicht von Verbraucherschützern und Bausparern greift § 489 BGB nicht. »Der Paragraf wurde zum Schutz von Verbrauchern gegenüber Banken eingeführt, nicht umgekehrt«, sagt Anwalt Thomas Basten, der sich 2015 vor dem LG Stuttgart gegen Wüstenrot durchsetzte.

Selbst wenn sich ein Institut darauf berufen dürfte, wäre der Paragraf nicht anwendbar, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Denn nur weil ein Vertrag seit zehn Jahren zuteilungsreif sei, sei damit nicht das gesamte Darlehens ausgezahlt worden. Die Einzahlungen der Sparer gingen ja weiter.

»Der Zeitpunkt der Zuteilung ist irrelevant«, so Nauhauser. Anwalt Basten sagt zudem, die Bausparkassen begründeten ihre Kündigung auch mit der Annahme, die Sparer wollten das Darlehen gar nicht mehr in Anspruch nehmen.

Wie ist die Lage an den OLG?

Nach Auskunft des Verbandes Privater Bausparkassen gab es bisher 24 schriftliche OLG-Entscheidungen, alle zugunsten der Kassen. Am OLG Celle wurde kürzlich das Kündigungsrecht der Bausparkassen als legitim erklärt. Es lägen noch weitere Verfahren mit ähnlichem Sachverhalt vor, sagte eine Sprecherin.

Gibt es eine Vorentscheidung?

Entschieden ist noch nichts. Irgendwann dürfte das Thema beim Bundesgerichtshof (BGH) landen. Dass der den Bausparern Recht gibt, hält die Juraprofessorin Christina Escher-Weingart für möglich. Sie nennt jedoch die Kündigungen legitim.

Beim Bausparen gehe es auch um den Solidargedanken von Sparern und Darlehensnehmern. Gebe es nur Sparer, werde das Kollektivkonzept unterhöhlt.

Aber: Sollten Bausparkassen mit hochverzinsten Daueranlagen geworben haben, wäre das etwas anderes - dann hätten die Sparer aus Sicht der Professorin bessere Chancen, beim BGH in Karlsruhe Recht zu bekommen.

Wie geht es weiter?

In den kommenden Wochen werden weitere OLG-Entscheidungen erwartet, darunter am 6. April in Stuttgart. Ein weiteres Urteil gab es nicht. Vor dem dortigen OLG kam es zu einem Vergleich: Die Bausparkasse Badenia kam einer Sparerin entgegen. Hat das Wirkungen auf die OLG in Köln, Hamm, Celle, München oder Koblenz? Die hatten sich bisher nur schriftlich geäußert, weil sie die Klagen als aussichtslos bewerteten.

Laut Experten wird sich der BGH des Themas annehmen wird. Bisher war in den OLG-Beschlüssen gegen Bausparer eine Revision vor dem BGH nicht möglich. Hinsichtlich des Stuttgarter Urteils pro Bausparer hat die unterlegene Bausparkasse noch nicht entschieden, ob sie vor den BGH ziehen will. dpa/nd

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