»Das steckt man nicht so ohne weiteres weg«

Chirurg Michael Winter spricht über seinen Einsatz für Ärzte ohne Grenzen in Jemen

  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 2006 leistete der Winter zehn Auslandseinsätze für Ärzte ohne Grenzen, darunter in der DR Kongo und Haiti. Mitte Februar bis Mitte März war er in Jemen eingesetzt, wo er kriegsverletzte Zivilisten und Soldaten behandelte.

Sie sind kürzlich aus Jemen zurückgekehrt, wo Sie für »Ärzte ohne Grenzen« als Chirurg tätig waren. Fühlte es sich merkwürdig an, wieder in Deutschland anzukommen?
Das ist mir nicht besonders schwergefallen, weil ich da schon eine gewisse Routine entwickelt habe. Das war mein zehnter Einsatz, und entsprechend habe ich das schon zehn Mal erlebt.

Was war das Besondere diesmal?
Wir hatten ein sehr gutes Team aus nationalen und internationalen Mitarbeitern. In dem Krankenhaus, indem ich war, arbeiteten 300 jemenitische Mitarbeiter und sieben ausländische Experten. Die jemenitischen Kollegen waren freundlich und auch fachlich gut. Das fand ich besonders bemerkenswert, grade aufgrund der schwierigen Situation, in der sie sich befanden.

Michael Winter

Dr. Michael Winter ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin. Aufgrund der Gefahrensituation durfte Winter bei seinem Einsatz in Jemen das Krankenhaus nicht verlassen. Mit dem Chirurg sprach für »nd« Sebastian Bähr.

In welchem Gebiet waren Sie eingesetzt?
In Aden, ganz im Süden vom Jemen. Ich arbeitete in einem Krankenhaus, das von Ärzte ohne Grenzen für die Behandlung von Kriegsverletzten aufgebaut wurde. Das Krankenhaus besitzt 75 Betten und liegt mitten in der Stadt. Wir behandelten Menschen, die durch Schussverletzungen, Bomben, Raketen und Landminen verletzt waren.

Es gibt einen Krieg zwischen den Huthi-Rebellen aus dem Norden und einer saudisch geführten Arabischen Koalition im Süden. Die Frontlinie ist 100, 150 Kilometer nördlich von uns. In Aden selber, wo wir auch ein Großteil unserer Patienten herbekommen haben, gab es aber regelmäßig Anschläge, Selbstmordattentate und Attacken auf Militärposten.

Welche Rolle spielten Bombenangriffe?
Es gibt viele zivile Verletzte durch diese Bombenangriffe. Es sind auch drei Ärzte ohne Grenzen-Krankenhäuser im Norden des Jemen getroffen worden.

Wurden Sie in Ihrer Arbeit dadurch beeinträchtigt?

Höchstens indirekt dadurch, dass wir das Krankenhaus nicht verlassen durften. Der Flughafen ist auch geschlossen, wir mussten so mit dem Boot anreisen. Das war etwas beschwerlich.

Wie gingen die Behörden mit Ihnen um?
Grundsätzlich wird Ärzte ohne Grenzen von den jemenitischen Behörden unterstützt, weil es das einzige noch funktionierende Krankenhaus in Aden ist. Allerdings gibt es in der Stadt verschiedene Organisationen, die präsent sind, verschiedene Milizen. Wir haben versucht, zu allen Gruppen Kontakt zu halten, weil das wichtig für unsere Sicherheit ist. Letztendlich war es gut machbar.

Wie groß ist die Gefahr für Nichtregierungsorganisationen vor Ort?
Viele NGOs haben sich aus dem Land zurückgezogen, weil die Sicherheitslage sehr angespannt ist. Besonders der Süden ist problematisch, weil dort die Arabische Koalition offensichtliche Schwierigkeiten damit hat, die Kontrolle zu behalten und sich deshalb islamistische Gruppen ausgebreitet haben.

Wurde Ihr Krankenhaus bewacht?
Wir hatten Wachpersonal, die jeden kontrollierten, der das Gebäude betrat. In unserem Krankenhaus sind keine Waffen erlaubt. Die Hälfte unserer Patienten waren aber Soldaten. Wenn die angeschossen wurden im Gefecht, wurden sie in der Regel von ihren bewaffneten Kameraden gebracht. Die durften das Krankenhaus aber nur betreten, wenn sie die Waffen abgegeben hatten. Es gab nicht einen Zwischenfall, wo sich jemand darüber hinwegsetzte.

Gab es Situationen, mit denen Sie nur schwer umgehen konnten?
Ich fand es besonders frustrierend, dass so viele Zivilisten unter den Opfer waren, auch Frauen und Kinder. Mich hat es ganz schön mitgenommen, zu sehen, dass Kinder bei Bombenanschlägen ihre Beine verlieren. Als Chirurg kann man etwas machen, es geht ja um das Retten von Leben, aber das steckt man nicht so ohne weiteres weg.

Wie ist die humanitäre Lage im Land?
Die Mitarbeiter, mit denen ich sehr engen Kontakt hatte, berichteten, dass die Situation zunehmend schlechter wird. Durch die Wirtschaftsblockade hat die Mangel- und Unterernährung deutlich zugenommen. Die medizinische Versorgung ist komplett zusammengebrochen.

Wie ist die Situation für die Flüchtlinge?
Es gibt zweieinhalb Millionen Binnenflüchtlinge, die das Land nicht verlassen können. Jemen war auch immer ein Teil der Flüchtlingsroute von Afrika nach Saudi-Arabien. Diese Flüchtlinge kommen nach wie vor und geraten in die Schusslinie. Wir hatten bei uns im Krankenhaus immer wieder Somalier, die zwischen die Fronten geraten sind.

Wird der Konflikt angemessen in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Das ist ein vergessener Krieg. Er findet relativ wenig Resonanz in den Medien, weil Syrien und die Flüchtlingskrise alles überschatten. Das erleben wir auch an unseren Grenzen so direkt, den Jemen aber nicht.

Was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um die Menschen angemessen versorgen zu können?
Insbesondere, dass die Luftangriffe gestoppt werden, dass die Wirtschaftsblockade aufgehoben wird und dass es sichere Zonen gibt, wo die Vereinten Nationen oder Nichtregierungsorganisationen gefahrenfrei agieren können. Das würde sicherlich einiges ändern. Aber am besten wäre es, wenn die Friedensverhandlungen zwischen den Huthis und der Regierung vorankommen würden.

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