Finnland testet Grundeinkommen

Schweizer können am 5. Juni über Einführung abstimmen

  • Bengt Arvidsson
  • Lesedauer: 3 Min.
In Finnland soll ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger getestet werden. Ausgerechnet die bürgerliche Regierung steht dahinter. Auch die Schweiz stimmt über einen ähnlichen Vorschlag ab.

Obwohl die Idee nach Sozialismus klingt, bringt in Finnland ausgerechnet die bürgerlich-nationalistische Regierung von Ministerpräsident und Ex-Großunternehmer Juha Sipilä das Grundeinkommen voran. Dabei steckt Finnland gerade in einer Wirtschaftskrise. Dennoch oder gerade deshalb hat Sipilä die bereits seit Jahren währende Diskussion nach seinem Amtsantritt im Mai 2015 aufgegriffen. Derzeit ist die Volksrentenanstalt KELA dabei, ein großes Experiment für 2017 vorzubereiten. Es soll zwei Jahre lang laufen.

Details sind noch nicht bekannt. Der mit der Ausgestaltung des Experimentes beauftragte Forschungschef von KELA, Olli Kangas, sagt im Gespräch mit dieser Zeitung aber, seine Expertengruppe befürworte ein kombiniertes Experiment, um möglichst aussagekräftige Messergebnisse zu erhalten. Dann könne über eine landesweite Einführung diskutiert werden. »Zum einen wollen wir in einem Ort mit mindestens 10 000 Einwohnern das Mitbürgereinkommen einführen. Zum anderen wollen wir aus der rund 5,5 Millionen Einwohner zählenden Gesamtbevölkerung Finnlands 10 000 Personen im arbeitsfähigen Alter zufällig auswählen und mit einer Kontrollgruppe, die kein Grundeinkommen erhält, vergleichen. Aber die Politiker entscheiden Ende 2016, was von unseren Vorschlägen machbar ist«, erklärt Kangas.

Das Grundeinkommen könnte bei steuer- und abgabenfreien 800 Euro oder höher liegen und andere Sozialhilfezahlungen und den daran gekoppelten Kontrollbehördenapparat ersetzen. Am wichtigsten ist dabei, dass das Grundeinkommen - zumindest grundsätzlich - nicht, wie bei der Sozialhilfe, verringert wird, wenn die Empfänger arbeiten.

Sipiläs bürgerliche Zentrumspartei hat bereits seit Jahrzehnten die Einführung eines Grundeinkommens im Programm. Vor allem hofft sie darauf, dass es mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringt. Denn bislang werden Sozial- und Versicherungsleistungen gekürzt, wenn Empfänger zusätzlich arbeiten. »Die Zentrumspartei hat, getreu ihrem Namen, schon immer Ideen aus dem rechten sowie dem linken politischen Lager vertreten«, erklärt Antti Mykkänen, Direktor der Stiftung für kommunale Entwicklung, dieser Zeitung die Haltung des bürgerlichen Ministerpräsidenten. Zudem sollen Finnen durch das Grundeinkommen auch ermutigt werden, im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Insofern enthält Sipiläs Modell durchaus auch Vorteile für Unternehmen. Die erhalten so ganz offiziell und nicht nur über den unregulierten Arbeitsmarkt staatlich subventionierte Arbeitskräfte. Die in den Jahren des Aufschwungs stark angestiegenen Arbeitskosten würden dann wieder erheblich sinken. Laut Umfrage wollen denn auch 70 Prozent der Bürger die Einführung eines Grundeinkommens.

Ein nicht stigmatisiertes Grundeinkommen könnte dann auch Bürgern aus bescheidenen Verhältnissen die Möglichkeit geben, Risiken in Form eines Berufswechsels oder der Selbstständigkeit einzugehen. So könnten sich die Arbeitskräfte besser auf dem Arbeitsmarkt verteilen und die Innovationskraft wird gestärkt, so ein weiteres Argument.

Unter dem Deckmantel eines Gesamtumbaus hin zu einer Vereinheitlichung des Sozialhilfesystems könnten auch Sozialkürzungen eher durchgesetzt werden, warnen Kritiker. Interessant dürfte das finnische Experiment in jedem Fall werden. Denn bisherige Experimente, wie etwa in einer kanadischen Kleinstadt in den 1970er Jahren, gelten als nicht aussagekräftig genug.

Am 5. Juni stimmen auch die Schweizer in einem Volksentscheid über die Einführung eines Grundeinkommens ab. Laut Befürwortern sollen jedem Bürger, ob arm oder reich, ohne Prüfung und Gegenleistung rund 2500 Franken monatlich gewährt werden. Nicht nur die Existenzsicherung, so wie in Finnland, sondern auch ein anständiges Leben soll ermöglicht werden. Das nicht bedürfnisabhängige System soll durch den Einbezug von Menschen aus wohlhabenden Schichten größere Rückendeckung erhalten.

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