Weine nicht, aber schrei

Bettina Wegner spielt mit Karsten Troyke und Jens-Peter Kruse in der Christophoruskirche

  • Mathias Schulze
  • Lesedauer: 4 Min.
Bettina Wegner, Jahrgang 1947. Ein Leben, zwei Wirtschaftssysteme, eine ungebrochene Haltung. Das provoziert Fragen. Im Gespräch mit ihr wird man verweilend intelligenter, ihre Art belebt mit Freude, Wehmut und Lebenslust.

Zufälle, Wahrnehmungen. Momente, die sich zu Überschriften eines Lebens formen. 1978 war es nur eine von vielen Bahnfahrten, nur eine von vielen Aufmerksamkeiten: Bettina Wegner ist auf dem Weg zu einem Konzert, das Abteil leer. Nur ein Mann sitzt ihr gegenüber, die Finger trommeln heftig unentwegt auf einen Koffer. Wegner flieht nicht ins Abstrakte, sie schaut nur genau hin. Ein Mann, ein Bild, die personifizierte Qual. So kommt der plastische Eindruck zum emotionalen Gedanken: Auch dieser Mensch war mal jung. Was ist nur mit ihm geschehen? Minuten später ist das Lied »Kinder« niedergeschrieben: »Sind so kleine Hände / winz’ge Finger dran. / Darf man nie drauf schlagen / die zerbrechen dann.«

Und heute? Nervt es, immer wieder auf das Ziel der graden, klaren Menschen angesprochen zu werden? Wegner kichert verschmitzt: »Mittlerweile nicht mehr.« Einen großen Anteil daran hat die Punk-Band Daily Terror, der 1982 eine Cover-Version gelang: »Sind so kleine Biere / Sind so schnell dahin / Darf man nie schnell trinken / Ist sonst nichts mehr drin (…) Klare grade Menschen / Wär’n ein schönes Ziel / Hoffnungslose Trinker / Haben wir schon zuviel.«

Bettina Wegner, Jahrgang 1947. Ein Leben, zwei Wirtschaftssysteme, eine ungebrochene Haltung. Das provoziert Fragen. Die Liedermacherin und Lyrikerin, scheinbar gewohnt, Resümees zu ziehen, sagt dann berlinernd solche Sätze: »Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nun wahrlich keine DDR-Nostalgikerin bin, aber im Westen hab ich auch keine Wurzeln schlagen können. Ich würde nicht sagen, dass ich heute in der Freiheit lebe.« Die schlanke Frau mit der stolzen, melancholischen Stimme kann gelassen und offen plaudern: »Ich werd nächstes Jahr siebzig, bin ein Knochenwrack, hab’s furchtbar mit dem Rücken.«

Die Rente ist schmal, klagen kann und will sie nicht. Seit gut zwanzig Jahren hat sie die Idee für ein Buch. Geschrieben ist das erste Kapitel, handeln soll es von der Kindheit und Jugend in der DDR. Und wieder ist da dieses so ansteckende Lachen: »Das soll keine Autobiografie werden, ein Mord ist auch mit drin. Aber mir sitzt kein Verleger im Nacken, und weil ich sehr undiszipliniert bin, dauert das.«

Und sonst? Im Gespräch mit Wegner wird man verweilend intelligenter, ihre Art belebt mit Freude, Wehmut und Lebenslust: alles gleichzeitig, alles konkret und farbig. Der Bäcker und die ratternde S-Bahn vor der Haustür in Berlin-Frohnau, die Behandlung der »Rückenfee«, die ihr Körper braucht, der Vater, den sie bis zu seinem Tode gepflegt hat, der Prager Frühling, die Verhöre, der Gefängnis-Aufenthalt, die Ausbürgerung 1983. Die DDR wollte sie eigentlich gar nicht verlassen: »Nö, ein Land wechselt man nicht wie ein Nicki. Nicki, so hießen früher die T-Shirts. Die DDR war für mich eine Zwangsehe. Ich wollte meine Freunde, mein Publikum nicht verlassen. Innerhalb einer Ehe kann man sich streiten, aber man geht nicht zu Fremden und zieht über den Partner her.« Und plötzlich, nach kurzen Gesprächspausen, in denen Vergangenes vorüberzieht: »Heimat ist da, wo ich Rollschuh gelaufen bin.«

Grundsätzliches, egal, ob es die Jesus-Geschichte, die Rede von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit oder die Idee des Kommunismus ist: »Das liegt alles nicht so weit auseinander. Wenn es aber an die Umsetzung geht, dann hab ich immer Mielkes Gesicht vor Augen.« Dennoch war sie neulich bei der Demonstration gegen TTIP in Berlin, mit der Nichtregierungsorganisation Campact sympathisiert sie: »Platz für Wünsche ist immer. Ich will aber keine Weltbeglückung mehr. Einer Organisation, die das verspricht, sollte man misstrauen.« Wegner redet von kleinen Trippelschrittchen, ihre Wünsche hat sie nicht aufgegeben, Menschen können aufeinander zugehen: »Ein Fremder ist nur solange fremd, wie man sich nicht auf ihn einlässt. Ich hab das Gefühl, dass die Welt verkehrt herum läuft.«

Neue Lieder aber wird sie nicht mehr schreiben: »Was ich zu sagen hatte, habe ich gesagt.« Manchmal bekommt sie Post und CDs von jungen Musikern. Vieles ist großartig, nur läuft es nicht im Radio: »Das macht mich traurig.« Mit dem Sänger, Schauspieler, Sprecher und Liedermacher Karsten Troyke und mit dem Gitarristen Jens Peter Kruse wird Wegner jetzt noch einmal ein gleichberechtigtes Konzert spielen. Einfach so, weil es passt. Nicht, weil es muss.

Bettina Wegner, Karsten Troyke und Jens Peter Kruse, am 16. April, 18 Uhr, in der Christophoruskirche, Bölschestraße 27-30, Friedrichshagen

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