Das ist natürlich bedauerlich

Halbgares an der deutsch-polnischen Gefühls- und Staatsgrenze: Matthias Dell über den Brandenburger »Polizeiruf 110: Der Preis der Freiheit« und seine Potenziale

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu den Standardsituationen des ARD-Sonntagsabendkrimis gehört das Auffinden der Leiche, die die Ermittlung in Gang setzt. Das ist im Brandenburger »Polizeiruf 110: Der Preis der Freiheit« (RBB-Redaktion: Daria Moheb Zandi) stimmungsvoll inszeniert: Nacht, Schweigen, Männer, Autos, Fahrt, Scheinwerfer, Straßen, dazu dynamisch-wehmütige Musik (Alexandra Barkovskaya). Leider ist es auch verwirrend erzählt, da zwei zeitlich aufeinander folgende Aktionen parallel geschnitten werden: die Tour des Autoschiebers Anton (Alexander Finkenwirth) und das Rennen des Polizisten Lehde (Oliver Bröcker). Ein Paradox.

Was beide Aktionen verbindet, ist ein Unfall. Den hebt sich der Film (Regie: Stephan Rick, Buch: Michael Vershinin) allerdings bis zum Schluss auf, weil er aus der Auflösung noch Spannung schlagen will. Mit dem Auftakt von »Der Preis der Freiheit« kann die Betrachterin also wenig anfangen; es braucht einige Zeit, bis der Fall Kontur annimmt: eine Polizistin ist tot, Autoschieber werden gesucht, Bürgerwehren, die als »Sicherheitspartner« der grenzübergreifenden Polizei firmieren, spielen eine Rolle.

Das mit dem Zeit-brauchen und Konturannehmen gilt für den überholten RBB-»Polizeiruf« der Post-Krause-Zeit in Gänze. »Der Preis der Freiheit« ist die zweite Folge mit verändertem Team, und dass der Titel weit weg von der Geschichte des Films irgendetwas raunt, ist noch das geringste Problem. Das deutsch-polnische Revier in Swiecko bei Frankfurt/Oder, von dem aus Olga Lenski (Maria Simon) nun mit Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) zusammen ermittelt und in das es Wolle Neumann (Fritz Roth) als einzige Assistenzkraft der alten Besetzung geschafft hat, fühlt sich auch in der zweiten Folge noch an wie die Idee eines deutsch-polnischen Reviers in Swiecko bei Frankfurt/Oder. Also wie ein politischer Wille, der sagt, wir brauchen mehr Europa, deshalb packen wir jetzt deutsche und polnische Ermittler zusammen, ohne sich überlegt zu haben, was das für den Alltag eines Fernsehfilms bedeutet.

Dabei wäre etwa Wolle Neumann – wie er da im Großraumbüro seinen Platz sucht und der Film den Text, den Wolle sinnvollerweise noch sprechen kann, wenn es doch zig weitere Assistenzkräfte gibt – eine Figur, an der sich der Unwillen von Fußtruppen in der Verwaltung gegen dauernde »Innovation« von oben zeigen könnte. Durch Gemurre, durch Verweigerung, durch ausgestelltes Unbehagen, sich mit lauter neuen, unbekannten Kollegen zusammenpflanzen zu lassen. Aber für solche Gefühle ist der »Polizeiruf« viel zu versöhnlich; er belässt es bei einem halbgar ausgeführten Motivscherz mit Harzer Käse, weil der ja so stinkt.

Das Halbgare zeigt sich auch an der Untertitel-Phobie des deutschen Fernsehens. Nicht alles Reden wird für das deutsche Publikum übersetzt. Nun mag nicht alles Reden fallrelevant sein; es ist nur ein merkwürdiges Verständnis von einem internationalen Revier, einen gewissen Teil des Redens als rein illustrativ, nämlich verzichtbar zu begreifen. Hier hat der neuen Brandenburger »Polizeiruf« bislang seine Grenze: Man folgt Lenski und Neumann bei ihrem Ausflug in einer fremde Welt; dabei müssten doch Raczek und die anderen neuen Kollegen zu ähnlich vertrauten Identifikationsfiguren werden. »Der Preis der Freiheit« ist zu gefühlsbetont: Die Härten des Wohlstandsgefälles an der Grenze, das redundanten krumme Geschäfte motiviert, werden immer wieder von friedlichen Aufnahmen der idyllischen Landschaft getröstet.

Zu den Standardsituationen von ARD-Sonntagabendkrimis, in denen in der Regel – Busy Bootz im »Tatort« Stuttgart ausgenommen – alleinerziehende Mütter die Arbeit machen, gehört die alibihafte Erwähnung des Kindes; nicht selten als Verschickung des Kindes (Lindholm im »Tatort« Hannover). Als Olga Lenski in »Der Preis der Freiheit« einmal Kollegen Raczek fragt, wie der das mit der Kinderbetreuung halte, antwortet der: »Ich in Pole, das macht meine Frau.« Wenn das deutsch-polnische Kommissariat im Brandenburger Polizeiruf an Profil gewinnen wollen – solchen Differenzen tatsächlich nachzugehen, wäre ein Ansatz.

Eine Frage, mit der man auf Stehpartys reüssieren kann: »Meiden Sie mich?«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: »Da kann ich Ihnen leider gar nicht helfen«

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