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Deutsche Bahn: Vorstand tauschen reicht nicht
Es braucht eine gemeinnützige Bahn, die ihren Vorstand selbst wählt, meint Carl Waßmuth
Nun sollen also Headhunter-Agenturen nach dem nächsten Bahnvorstand suchen. Der wird dann nach der Probezeit sofort Multimillionär. Allein das Grundgehalt beträgt 1,4 Millionen Euro, dazu kommen die Boni. Richard Lutz bekam seit 2017 geschätzt 15 Millionen Euro. Dass er in dieser Zeit zugelassen hat, dass das Schienennetz um mehr als das Hundertfache seines Gehaltes an Wert verloren hat – geschenkt. Lutz wird sich über D&O abgesichert haben. D&O steht für Directors and Officers liability assurance und gewährleistet, dass so gut wie nie ein Manager für Bockmist haftet, den er seiner Firma eingebrockt hat.
Dass Lutz für seine Verantwortungslosigkeit fürstlich entlohnt wird, ist kein Zufall. Es entspricht dem System Deutsche Bahn AG (DB AG), das vor drei Jahrzehnten eingerichtet wurde. Im Jahr 1994 wurde das Grundgesetz geändert: »Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt.« Es war die Zeit, als Privatisierungen mit quasi-religiösen Heilsversprechen beworben wurden. Zuvor hatten Reichsbahn und Bundesbahn 6000 sogenannte Bahndirektoren, bei insgesamt 340 000 Beschäftigten, ein Verhältnis von 1 zu 56. Die DB AG splitterte sich in Hunderte Einzelfirmen auf, alle mit eigener Geschäftsführung. Die Zahl der Manager wuchs auf über 20 000, während 140 000 Stellen abgebaut wurden – auf eine Führungskraft kommen heute neun Beschäftigte. Dieser Wasserkopf kostet geschätzt zwei Milliarden Euro jährlich.
Carl Waßmuth ist Bauingenieur und Mitbegründer von »Gemeingut in BürgerInnenhand«. Der Verein setzt sich gegen die Privatisierung von Einrichtungen der Daseinsfürsorge ein und für eine gesellschaftliche Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit. Er ist zudem Teil des Bündnisses »Bahn für Alle«, in dessen Vorstand Waßmuth sitzt.
Das Geflecht aus Firmen ist nicht nur finanziell ein Problem. Es ist die DNA der Lüge, die DB wäre eigenwirtschaftlich am Markt tätig. Jede Einheit soll ein Profitcenter sein. Alle stellen sich gegenseitig Rechnungen. Eine E-Mail-Adresse kostet dann 100 Euro im Monat usw. Aber kein Verkehrssystem der Welt kann rein betriebswirtschaftlich Gewinne erzielen. Der Mehrwert entsteht auch beim Schienenverkehr volkswirtschaftlich. DB-Gewinne kommen also vielfach aus Sondererlösen wie Verkäufe von Grundstücken, Firmen, Marken und vielem mehr. Und – ökologisch kontraproduktiv – aus steigenden Fahrpreisen und Trassengebühren.
Der nach dem Personal größte Produktivfaktor – die Infrastruktur – wurde aus den DB-Bilanzen wohlwissentlich herausgehalten. Geschenktes Geld für Schienen muss man nicht verbuchen, so die Betrachtungsweise. Seit 2009 gibt es sogar einen Schenkungsvertrag: die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV). Im Gegenzug für geschenkte Milliarden weist die DB jährlich im Netzzustandsbericht nach, dass sie bis zu 99 von 100 möglichen Punkten erreicht. Die Kluft zur Realität im Bahnalltag wird allerdings jedes Jahr größer (Bundesrechnungshof: »für die Outputkontrolle bei der Schienenwegefinanzierung nicht geeignet«). Heute ist klar: Das Netz ist kaputt.
Was tun? Wir benötigen eine kundenfreundliche, zuverlässige Bahn als Alternative zu Auto und Lkw. Nur den Vorstand auszutauschen reicht nicht. Das Firmengeflecht muss zusammengeführt werden, um die Bahn endlich wieder gemeinnützig zu steuern. Über Jahrzehnte vorausschauende Vorgaben müssen die Quartalsberichte ersetzen. Und die Geschäftsführung mit maximal Bundeskanzlergehalt sollte gewählt werden – Bahnkunden und Beschäftigte haben dazu weit mehr Kompetenzen als jeder Headhunter.
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